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Industrieruinen in Charleroi (Wallonien). Mit den Sparvorgaben der belgischen Regierung droht der Region der weitere Niedergang.
SRF. Oliver Washington
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Das verarmte Wallonien wehrt sich gegen das «flämische» Spardiktat

Seit letztem Herbst hat Belgien eine neue Regierung, in der flämische Nationalisten dominieren. Diese drücken dem Land einen rigiden Sparkurs auf, der vor allem das französischsprachige Wallonien hart trifft. 

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Dort verfallen die Innenstädte, dort ist die Arbeitslosigkeit hoch; da werden Kürzungen von Löhnen, Renten und Sozialhilfen sofort spürbar. Mit Streiks und Demonstrationen wehrt sich Wallonien gegen die befürchtete «Zweiklassengesellschaft» bisher erfolglos. Resignation wird spürbar.

Dreimal legten Belgiens grosse Gewerkschaften trotz ideologischer Differenzen im letzten Spätherbst das Land lahm. «Wir weichen nicht bis die Regierung fällt oder das Sparpaket zurücknimmt», lautete die Parole. Doch die Regierung sitzt die Proteste vorläufig aus und will die Abbaumassnahmen Schritt für Schritt umsetzen. Elf Milliarden Euro sollen in den nächsten drei Jahren eingespart werden: Die Lohnentwicklung wird nicht mehr an die Preise gekoppelt, das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre angehoben, die Kriterien für Arbeitslosengeld-Bezüge werden verschärft, während den Unternehmen Sozialabgaben erlassen werden.

Doch es sind nicht nur die jetzt gefährdeten sozialen Errungenschaften Belgiens, die auf dem Spiel stehen. Zum ersten Mal in der belgischen Geschichte wird die Regierung in erster Linie von der grossen flämischen Mehrheit im Lande gestützt, während Wallonien, der französischsprachige Süden des Landes nur noch eine Nebenrolle spielt. Die flämischen Nationalisten, die im belgischen Parlament die grösste Fraktion stellen, drückten dem Regierungsprogramm ihren Stempel auf. Zwar kommt der Ministerpräsident, der Liberale Charles Michel, aus dem frankophonen Teil Belgiens, doch in der Regierung geben so der Vorwurf der Frankophonen eigentlich nur die Flamen den Ton an. So ist diese Regierung nicht nur wegen des gefürchteten Sozialabbaus vielen Wallonen suspekt, sondern weil die flämischen Nationalisten von Bart de Wever im Verdacht stehen, den Gesamtstaat Belgien zugunsten der Teilstaaten schwächen zu wollen. Und da hätte das ärmere Wallonien das Nachsehen.


Wallonien, die einst reichste Region Europas, leidet heute unter einer Rekordarbeitslosigkeit, in einzelnen Städten liegt sie über 20 Prozent. Die Zeiten des Reichtums mit Kohle und Stahl sind vorbei. Industrie-Ruinen, verlassene Quartiere, Abwanderung und Armut prägen die Region. Und der regionalen Linksregierung fehlt das Geld für grosse Investitionen, ohne innerbelgische Solidarität, ohne Hilfe des Zentralstaates und damit des reicheren Flanderns müssen selbst bescheidene Sozialprogramme gekürzt werden. Und so fürchtet man in Wallonien nicht nur die sozialen Verwerfungen durch das «flämische Spardiktat», sondern sieht auch den Zusammenhalt des Gesamtstaates durch diese Regierung bedroht.
Belgiens rigides Sparprogramm Wallonien zwischen Widerstand und Resignation. Eine Reportage von Oliver Washington.

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