Zum Inhalt springen

Header

Video
Baugebühren nach 50 Jahren: Gemeinde kassiert für alten Schopf
Aus Kassensturz vom 19.04.2016.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 26 Sekunden.
Inhalt

Wohnen Absurd: Gemeinde fordert Baugesuch für 50-jährigen Holzschopf

Eine Berner Gemeinde verlangt nachträglich Baugesuche für kleine Hütten und Ställe, die Jahrzehnte lang niemanden gestört haben. Dafür verlangt sie happige Gebühren. Rechtlich gesehen ist das zwar möglich, allerdings hält ein Experte im «Kassensturz» das Vorgehen für ziemlich übertrieben.

Es ist dicke Post, die die Gemeindeverwaltung von Sigriswil an ihre Einwohner verschickt: «Sollten Sie innert der genannten Frist das Baugesuch nicht einreichen, sehen wir uns leider gezwungen die Eingabe des Baugesuchs mit einer kostenpflichtigen Verfügung einzufordern.» Dabei handelt es sich um nachträgliche Baugesuche für Holzschöpfe, die 30 oder gar 50 Jahre stehen. Und bis anhin niemanden gestört haben.

Sägereimeister Walter Kämpf hat das Anwesen auf dem Heitiboden in Schwanden bei Sigriswil von seinen Eltern übernommen. Das war vor 30 Jahren. Schon damals standen auf dem Bauernhof ein kleiner Hühnerstall von rund 9m2 und ein Holzschopf von rund 12m2. «Der Holzschopf hat mein Vater 1969 aufgestellt, damit er Ordnung ums Haus hat und die Geräte nicht dem Wetter ausgesetzt waren.» Walter kämpf erinnert sich so genau an das Datum der Errichtung, weil er im 69 die Rekrutenschule absolvierte.

«Da geht es doch ums Pulver»

Nun, knapp 50 Jahre später erhält er für diesen Holzschopf und den Hühnerstall aus dem Jahr 1982 die amtliche Aufforderung, nachträglich ein Baugesuch einzureichen. «Mich stört, dass während all den Jahren nie jemand etwas gesagt hat und sich offensichtlich auch nie jemand daran gestört hat. Bis jetzt.»

Kämpf hat einen Verdacht: Dass nach einem knappen Jahrhundert für so kleine und offensichtlich nicht störende Bauten Baugesuche eingefordert werden, hätte doch einen finanziellen Hintergrund: «Das geht doch schlussendlich ums Pulver. Die Gemeinde braucht doch einfach Geld.»

Widerrechtliche Bauten ausserhalb der Bauzone im Kanton Bern

Angaben aus den Meldungen der 10 Regierungstatthalterämter gemäss Umfrage bei den Gemeinden aus den Jahren 2011, 2012, 2013 und bis Februar 2014.

Anzahl Feststellungen
davon nachträgliche Bewilligungen
davon verfügte Wiederherstellungen
davon noch offene Verfahren
erledigt infolge Verzicht/Rückzug
Bern-Mittelland1166736112
Biel935
10
Thun6718112018
Obersimmental-Saanen51194919
Frutigen-Niedersimmental611814236
Interlaken-Oberhasli43208150
Seeland2414460
Emmental52313171
Oberaargau38156116
Jura bernois43104290
In Prozent:
10042,718,928,210,3

Angaben aus den Meldungen der 10 Regierungstatthalterämter gemäss Umfrage bei den Gemeinden aus den Jahren 2011, 2012, 2013 und bis Februar 2014.

2000 Franken Gebühr für einen 30-jährigen Holzschopf

Dass ein nachträgliches Baugesuch ins Geld geht, zeigt der Fall des Sigriswilers Andreas Waber. Auch er wurde von der Gemeindeverwaltung aufgefordert, ein nachträgliches Baugesuch für einen Schopf auf seiner Alp einzureichen. «Mit allen Gebühren bezahlte ich über 2000 Franken», erklärt der Landwirt und vierfache Familienvater. «Das Geld hätten wir weiss Gott anders gebrauchen können. Es reut mich noch immer, mussten wir das ausgeben.»

Nicht auf dem Mist der Sigriswiler Bauverwaltung gewachsen

Gemeindepräsident Alfred Santschi versteht den Ärger. Gleichzeitig delegiert er die Verantwortung an den Kanton: «Das ist nicht auf dem Mist der Bauverwaltung von Sigriswil gewachsen», beteuert Santschi. Sie würden nur den Auftrag des Kantons ausführen. «Und jetzt bekommt der Sack die Schläge obwohl eigentlich der Esel gemeint ist.»

Bei der periodischen Nachführung entdeckte der Geometer im ganzen Kanton Bern Bauten, für die nie Baugesuche eingereicht wurden. Alleine in der Gemeinde Sigriswil waren es 150 Ställe und Schöpfchen, die nie auf dem Katasterplan eingezeichnet wurden. Alfred Santschi versichert, dass die meisten unkompliziert und ohne nachträgliches Baugesuch «durchgewunken» wurden. Bei rund 30 wäre dies aber nicht möglich gewesen. Kämpfs und Wabers Schöpfe gehörten aufgrund der Grösse und Lage zu letzteren.

Verjährt oder nicht verjährt? Das ist die Frage

Kann eine Gemeinde nach so langer Zeit noch verlangen, dass für kleine Bauten wie ein Holzschopf oder ein Hühnerstall ein Baugesuch eingereicht wird? Verjährt eine solche Baubewilligungspflicht nicht? Fragen, die die Betroffenen zurecht stellen. Verwaltungsrechts-Professor Peter Hänni von der Universität Fribourg unterscheidet zwei Dinge: «Es gibt eine Verjährung. Allerdings bezieht sich diese darauf, dass eine Behörde nach 30 Jahren nicht mehr verlangen kann, dass das Gebäude abgerissen wird.» Betroffen von dieser Regel seien Bauten in der Bauzone. In der Landwirtschaftszone – wie jene in Sigriswil – sei die Angelegenheit nicht geregelt und das Bundesgericht habe hierzu explizit keinen Entscheid gefällt.

Prinzip der Verhältnismässigkeit

Was die Baubewilligungspflicht angeht: Diese sei darauf angelegt, dass die Behörde einerseits baupolizeiliche und zonenrechtliche Tatbestände prüft. Zudem diene ein Gesuch auch der Dokumentation. «Insofern verjährt die Pflicht, ein Baubewilligungsgesuch einzureichen, nie.» Uni-Professor Hänni weist aber auch darauf hin, dass das Verwaltungsrecht das Prinzip der Verhältnismässigkeit kennt. «Das bedeutet, dass man bei einer Baute, die schon ewig lang steht und man sich kaum noch daran erinnert, wann sie erstellt wurde, mit Augenmass handelt.» Eine einfache Skizze und ein Foto würden im Fall von Walter Kämpf ausreichen, «dass mit moderaten Preisen die ganze Sache legalisiert werden kann und der Eigentümer zufrieden sowie die Gemeinde ihrer Verpflichtung nachgekommen ist.»

Gemeinde lenkt ein

Nachdem sich «Kassensturz» eingeschaltet hat, trifft sich die Gemeinde noch einmal mit Walter Kämpf. Sie wollen – so versichert es Gemeindepräsident Alfred Santschi – gemeinsam mit dem Kantonsvertreter Kämpfs kleinen Bauten vor Ort besichtigen und eine «vernünftige» Lösung finden. Man wolle das unkompliziert abhandeln und Walter Kämpf müsse sicherlich nicht mit mehr als 500, 600 Franken für das nachträgliche Baugesuch rechnen.

Meistgelesene Artikel