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Trutenfleisch aus Qualmast: Was tun Migros und Coop dagegen?
Aus Kassensturz vom 24.06.2014.
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Konsum Trutenfleisch aus Qual-Mast: Coop erneut in der Kritik

Schon wieder schockieren Bilder aus deutschen Trutenmastbetrieben die Öffentlichkeit. «Kassensturz»-Recherchen zeigen: Ausgerechnet Coop bezieht sein Trutenfleisch aus bedenklichen Betrieben. Anders Migros: Ihr Lieferant in Ungarn hält die Tiere «ethisch vertretbar».

Die Tierhaltung in deutschen Trutenmast-Betrieben wird immer schlimmer. «Kassensturz» hat mehrmals mit schockierenden Bildern den Import aus solchen Betrieben kritisiert. Die Reaktion der Grossverteiler war jeweils: Sie gelobten Besserung.

Doch jetzt zeigt sich, nicht alle Grossverteiler nehmen das Tierwohl ernst. Auch Coop steht erneut in der Kritik. Das decken Bildaufnahmen der Organisation SOKO Tierschutz auf. SOKO Tierschutz dokumentiert seit Monaten Zuliefer-Betriebe der Süddeutschen Truthahn AG in Süddeutschland – mit versteckter und verdeckter Kamera. Die SüddeutscheTruthahn AG ist der Hauptlieferant von Coop.

Reine Tierquälerei

SOKO Tierschutz filmt eine Masthalle mit tausenden von weiblichen Truten, die kaum Platz haben. Sie sind 16 Wochen alt. Schon nach wenigen Metern finden die Filmer Tiere, die näher am Tod sind als am Leben: «Also diese Tiere sind wirklich schwerst verletzt, liegen hier in den eigenen Fäkalien. Sie können nicht mehr aufstehen, kaum den Kopf heben.» Ein Tier hat eine Brustblase. Das ist eine Ansammlung von Lymphflüssigkeit, die immer größer wird und irgendwann aufreisst: «Daran wird das Tier verenden», erklärt Tierfilmer Friedrich Mülln.

Auch in vier weiteren Truten-Zulieferbetrieben der Süddeutschen Truthahn AG filmt SOKO Tierschutz ähnliche Zustände. Immer wieder schwerst verletzte Tiere und Truten, die aufgrund ihres enormen Brustfleischwachstums nicht mehr gehen können. Geflügelexpertin Nadja Brodmann vom Zürcher Tierschutz beurteilt für «Kassensturz» die Bilder. Sie ist schockiert: «Man sieht hier schwer verletzte und kranke Tiere in einem sehr schlechten Zustand, im Hintergrund sind gesunde Tiere, also offensichtlich sind da nicht mal die Mindestanforderungen eingehalten». Die Mindestanforderungen wären auch in Deutschland, zweimal täglich alle Truten zu kontrollieren, verletzte und kranke Tiere zu separieren, zu behandeln und wenn nötig, korrekt zu töten. Brodmann: «Da sieht man ein totes Tier, das ganz übel zugerichtet wurde. Das ist nicht von heute auf morgen passiert. Dass da nicht gehandelt wurde, das ist reine Tierquälerei.»

Lebend in den Container geschmissen

Versteckte Aufnahmen auf einem weiteren Zuliefer-Betrieb zeigen, wie ein Mitarbeiter auf kranke Truten einprügelt und diese noch lebend in einen Container wirft. Für die Schweizer Geflügelexpertin schockierend und auch in Deutschland illegal: «Eine legale Tötungsmethode vor Ort – wenn man das Tier erlösen muss – wäre eigentlich, dass man sie sauber betäubt, entweder durch einen Bolzenschuss oder durch einen gezielten Schlag auf den Kopf, und danach die Tiere ausbluten lässt, wenn sie betäubt sind.»

Die Süddeutsche Truthahn AG schreibt «Kassensturz», dass sie von den Bildern der Nottötung schockiert sei. Die Zusammenarbeit mit dem Betrieb sei bis zur behördlichen Klärung sistiert. Der Trutenproduzent verspricht weiter: «Derzeit lassen wir alle Zulieferer zusätzlich und unangekündigt durch unabhängige externe und durch weitere Prüfer aus unserem Haus kontrollieren.»

Hauptlieferant von Coop

Aufgrund früherer «Kassensturz»-Berichte über Truten, die in deutschen Masthallen leiden, hatte Coop ihren Haupt-Trutenfleischbezug nach Süddeutschland verlegt.

Coop schreibt seinen Kunden auf Anfrage, dass sie im süddeutschen Raum einen Produzenten gefunden hätte, der die Anforderungen an das Tierwohl erfülle und die Tiere nach eigenen strengen Standards halte. Doch: Dabei handelt es sich ausgerechnet um die Süddeutsche Truthahn AG.

Haltung der Produzenten ändern

«Kassensturz» konfrontiert Roland Frefel, Bereichsleiter Frischprodukte bei Coop, mit den Bildern über die Zuliefer-Betriebe der Süddeutschen Truthahn AG. Frefel betont im Interview, wie schockiert er selber war, als er diese Bilder zum ersten Mal sah. «Wir haben heute kein Fleisch von diesen Betrieben in unserem Sortiment.» Trotzdem möchte Coop weiterhin mit der Süddeutschen Truthahn AG zusammenarbeiten und bis Mitte 2015 mit ausgesuchten Betrieben, die in Ordnung sind, auf Schweizer BTS-Standard umstellen. Zudem betont Frefel wie wichtig es sei, dass die Produzenten auch wirklich Respekt gegenüber den Tieren hätten: «Wir müssen die Haltung dieser Produzenten ändern.»

Migros: Unangemeldeter Besuch in Ungarn

Auch Migros versprach seinen Kunden in der Sendung «Kassensturz» vor einem Jahr, dass sie ihre Trutenhaltung im Ausland verbessern wolle. In ihrem Kundemmagazin im Mai verspricht Migros ebenfalls: Das Trutenfleisch werde nun auch in Ungarn nach «Schweizer Tierwohl-Standards» produziert. Das will «Kassensturz» überprüfen und fährt nach Ungarn für einen unangemeldeten Besuch.

«Kassensturz» darf Mast besichtigen

Mit dabei: die Zoologin Nadja Brodmann vom Zürcher Tierschutz. Der «Kassensturz»-Dolmetscher zeigt einem Gallfood-Mitarbeiter das Schreiben der Migros. Darin steht, dass «Kassensturz» die Truten-Ställe jederzeit unangemeldet besichtigen darf.

Wenig Federpicken, coupierte Schnäbel

Alle Migros-Hallen haben ein Aussengehege, das heisst: täglich Frischluft und Sonnenlicht für die Tiere. In der ersten Halle sind die Truthähne 18 Wochen alt und werden in 3 Wochen geschlachtet. Die zirka 1800 Tiere haben tatsächlich so viel Platz, wie sie auch die Schweizer Tierschutzverordnung vorschreibt. Also deutlich mehr Bewegungsfreiheit als in der EU.

Die Schweizer Geflügelexpertin Brodmann beobachtet erst mal genau, ob die Tiere einigermassen ruhig sind oder sie sich gegenseitig bepicken. «Ausser den Schwanzfedern und zum Teil an den Flügeln, sehen diese jetzt noch relativ gut aus.» Die Mehrheit der Oberschnäbel sind wie in der EU üblich abgeschnitten – das heisst coupiert. In der Schweiz wäre nur Touchieren erlaubt. Wenn die Einstreu zu feucht ist, bekommen die Truten Fussballengeschwüre. Bei den Truten hier ist es noch nicht ausgeprägt.

Kranke separiert und korrekt getötet

«Kassensturz» will mit der Geflügelexpertin die Krankenstände sehen. Eszter Banhalmi-Borsos von Gallfood zeigt die verletzten Tiere, die separiert wurden. Ausgezupfte Federn, eine Kopfverletzung, es sind nicht viele. In einer anderen Halle ist soeben ein stark verletztes Tier in den Krankenstand gebracht worden. Die Wunden sind noch frisch. Kurz darauf erlösen zwei Mitarbeiter den stark verletzten Truthahn korrekt mit einem Betäubungsschlag auf den Kopf und einem Genickbruch. Auch der Einblick in das Tagesjournal bestätigt, dass jede Halle zirka sechs Mal täglich kontrolliert wird

«Ethisch vertretbar»

Die Geflügelexpertin zieht Bilanz: Ausser den zum Teil zu stark coupierten Schnäbeln entspricht die Haltung dem Schweizer Tierschutz-Gesetz – zum Teil erreicht die Mast sogar den Standard «Besonders tierfreundliche Stallhaltung» – BTS. Nadja Brodmann: «Man sieht zwar Spuren von Federpicken, aber es ist eine ethisch vertretbare Haltung, insbesondere der Auslauf ins Freie, dieser kommt dem Tierwohl sehr zugute»

Migros prüft weitere Verbesserungen

Um den Schweizer BTS-Standard zu erreichen, müsste der Stall noch besser strukturiert werden mit Rückzugsort und Sitzflächen auf erhöhten Ebenen. Das würde auch noch zusätzlichen Schutz geben für unterlegene Tiere, die gepickt werden.

Nach dem Besuch schreibt die Migros «Kassensturz», dass es das Ziel war, «für die Tiere zusätzlich zur Schweizer Tierschutzgesetzgebung Mehrwerte zu schaffen». Migros prüfe weitere Elemente. Zudem verspricht die Migros, die Leute vor Ort zu unterstützen, um auch die Problematik der Schnäbel und der Nottötung bald vollständig in den Griff zu bekommen.

Umfrage bei Detailhändlern: Viel Trutenfleisch aus Deutschland

Woher beziehen die anderen Schweizer Detailhändler ihr Trutenfleisch? Stammt das Fleisch auch von der stark kritisierten Süddeutschen Truthahn AG? Das wollte «Kassensturz» von den Detailhändlern wissen. Hier das Ergebnis der Umfrage:

Aldi: Deutschland

Coop: Deutschland (Süddeutsche Truthahn AG, siehe Beitrag), geringe Mengen aus Frankreich, Ungarn und Brasilien.

Denner: Grossteil aus Schweiz und Brasilien, wenig aus Deutschland (Süddeutsche Truthahn AG), Ungarn, Frankreich

Denner schreibt «Kassensturz», dass sie die gezeigten Missstände bei der Süddeutschen Truthahn AG nicht toleriert und per sofort den Ankauf von Produkten der Süddeutschen Truthahn AG stoppt, bis dieser die Einhaltung der Tierschutzverordnungen für seine Produkte nachweisen und belegen kann.

Lidl: Schweiz, Italien

Manor: Schweiz (80%), Frankreich, Italien

Migros: nationales Truten-Frischfleischsortiment und damit die Mehrheit des Trutenfleischs aus: Ungarn (speziell gekennzeichnet «Haltungsform nach Vorgaben der Schweizerischen Tierschutzverordnung»), regional: Frankreich, Italien

Spar: Schweiz

Volg: Brasilien, Schweiz

Gastrohandel

Bell: Deutschland (Süddeutsche Truthahn AG), Ungarn, Frankreich, Brasilien

Prodega: Deutschland (Süddeutsche Truthahn AG), Ungarn, Frankreich, Brasilien

Bell und Prodega schreiben «Kassensturz», dass sie die gezeigten Missstände bei der Süddeutschen Truthahn AG verurteilen und kein Fleisch mehr von den gezeigten Zuliefer-Betrieben beziehen werden. Sie wollen aber nach wie vor mit der Süddeutschen Truthahn AG zusammenarbeiten und bis Mitte 2015 mit ausgesuchten Höfen auf Schweizer BTS-Standard umstellen.

TopCC: Schweiz (65%), Ungarn (35%)

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