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Wellness-Schmuck: Teurer Hokuspokus
Aus Kassensturz vom 18.09.2007.
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Konsum Wellness-Schmuck: Teurer Hokuspokus

Der Wellness-Schmuck der japanischen Marke Phiten ist ein Verkaufsrenner. Die angeblich energetisch behandelten Bänder und Pflaster versprechen mehr Entspannung und bessere Leistungsfähigkeit. Doch dafür gibt es keinerlei Beweise.

Nati-Torhüter Pascal Zuberbühler hat mit der Firma Phiten einen Werbevertrag. Er ist durch den berühmten Kickbox-Sportler Andy Hug darauf gekommen. «Ich trage die Halsketten und Armbänder schon die ganze Zeit und es tut mir gut», sagt Pascal Zuberbühler. Beach-Volleyballer Paul Laciga ist bei Phiten ebenfalls unter Vertrag. Er trägt die Halsketten im Wettkampf.

«Hauptsache es spendet viel Energie»

Auch die ehemalige Nummer 1 im Tennis, Martina Hingis, lässt sich von der japanischen Firma sponsern. Das Prinzip, wie der japanische Zauber funktionieren soll, ist ihr nicht ganz klar. Die Idee eines energiegeladenen Schmucks gefällt Hingis trotzdem: «Hauptsache es spendet viel Energie und hilft. Manchmal trage ich auch zwei Halsketten.» Es sei für sie eine Kombination von Schmuck und Energie.

In den Armbändern und Halsketten hat es Spuren von Titan – ein gängiges Material in der Industrie-Produktion. Die Firma Phiten dichtet ihm jetzt neue Eigenschaften an. Durch eine geheime Prozedur soll es mit gesundheitsfördernden Informationen aufgeladen werden. Das Versprechen: Es entspannt und verbessert die Leistungsfähigkeit. Angeblich energetisch wirkt auch die Massage-Lotion und das Pflaster soll heilende Wärme erzeugen.

Konsumenten scheinen daran zu glauben, das Geschäft mit Phiten-Produkten boomt. Vor allem Apotheken und Drogerien verkaufen die vermeintlichen Wunderdinger. Inzwischen gibt es in der Schweiz 600 Verkaufsstellen. Der Renner ist das «Modell Sport» für 49.90 Franken. Selbst Kinder hat der Modetrend angesteckt.

Geschätzter Materialwert: ein paar Franken

Andreas Koch, Apotheker in Ipsach, führt einen Grossteil des Phiten-Sortiments, auch Pflaster: 30 Stück kosten 9.90 Franken. Sie sollen wärmen und Schmerz lindern. Die Palette von Hals- und Armbändern ist riesig, die Halsketten kosten zwischen 39.90 und 189.00 Franken. Ein stolzer Preis, geschätzter Materialwert: ein paar Franken. Über die Produktion schweigt sich Phiten aus.

Die Halskette soll Schwingungen auf den Menschen übertragen. Klingt gut, belegen kann es Phiten aber nicht. Apotheker Andreas Koch zu den fehlenden Beweisen: «Das Produkt kommt aus Japan und die Japaner setzen auf eine 20 Jahre alte Technologie. Sie haben ein geheimes Verfahren entwickelt, das Titan behandelt und mit Schwingungen belegt. Vielleicht sind wir in 20 Jahren soweit, dass wir die Technologie wissenschaftlich beweisen können», sagt Koch.

Leerformeln und schöne Worte

Geheimes Verfahren, rätselhafte Informationen, gespeichert auf simplen Titan. Was sagen Wissenschafter dazu? Kassensturz geht zu Bernhard Erni, Professor für Biochemie an der Universität Bern. Er prüft die Informationen zum sogenannten Phild Processing, dem geheimen Phiten-Verfahren. Phiten schreibt dazu im Internet hochtrabend: «Phild Processing – eine Technologie der Zukunft».

Das Urteil von Professor Erni: «Phild processing ist eine Leerformel, ein schönes Wort, das Eindruck machen soll, physikalisch oder chemisch ist es jedoch nicht möglich, Titan zu vitalisieren wie es in den Unterlagen heisst. Weshalb Phiten ausgerechnet auf Titan setzt, lässt sich nicht erklären, denn Titan leitet elektrische Ströme schlecht.» Für den Biochemieprofessor ist klar: «Titan kann Schwingungen nicht speichern.» Das sei wissenschaftlich bewiesen. Eine Schwingung manifestiere sich dadurch, dass man sie messen kann. «Etwas, das nicht messbar ist, existiert nicht», so Erni.

«Spür-, aber nicht messbar»

Der ehemalige Karate-Spitzensportler Walter Seeholzer brachte die Phiten-Produkte in die Schweiz. Dass Naturwissenschafter das Phiten-Prinzip für Nonsens erklären, stört ihn nicht. Schwingungen seien sehr schwierig nachzuweisen. «Es sind spürbare, aber nicht messbare Informationen», ist Seeholzer überzeugt.

Mit den Phiten-Produkten macht Seeholzer ein Millionengeschäft. «In allen Ländern werden die Produkte zuerst kontrovers diskutiert, aber überall sind sie erfolgreich.» Die angebliche Wirkung kann Seeholzer nicht beweisen, wissenschaftliche Studien fehlen. Im Bereich Wellness brauche es keine wissenschaftlichen Studien, man dürfe Studien nicht überbewerten, sagt Seeholzer: «Die Leute, die das Produkt brauchen, spüren das.» Sportler würden bei Regeneration oder der Leistungsfähigkeit spürbar unterstützt.

Sportler unter Druck empfänglich

Der renomierte Sportmediziner Walter Frey, Mitglied von Swissolympics, studiert seit Jahren Möglichkeiten zur Leistungsverbesserung. Medizinisch belegt ist: genügend Schlaf, gesunde Ernährung und Bewegung beeinflussen die Leistung. Es gebe keine Untersuchungen oder Beweise, die belegen, dass Titan oder behandeltes Titan irgendwelche Einflüsse auf den Mensch haben können, so Walter Frey. Er hat während seiner langjährigen Tätigkeit als Betreuer von Spitzensportlern schon viele «Wundermittel» kennengelernt.

Und Sportpsychologe Jörg Wetzel, der Schweizer Athleten an der Olympiade betreut, weiss, «unter Druck stehende Sportler suchen nach Mittelchen und Möglichkeiten.»

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