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Schlangenbisse – Afrika geht das Gegengift aus

Jährlich sterben etwa 100'000 Menschen durch den Biss einer Giftschlange. Doch das einzig wirksame Anti-Serum gegen die wichtigsten afrikanischen Giftschlangen verschwindet nächsten Sommer ersatzlos vom Markt. Das betrifft vor allem die lokale Bevölkerung, kann aber auch Touristen nicht egal sein.

Lange nicht jeder Schlangenbiss ist lebensbedrohlich. Aber das Gift der lautlosen Reptilien ist doch heimtückischer als gemeinhin angenommen. «Wir gehen davon aus, dass etwa jeder Zehnte, der von einer Giftschlange gebissen wird, an den Folgen stirbt. Hinzu kommen jährlich etwa 400'000 Personen, die nach einem Biss ein Leben lang entstellt oder verstümmelt sind», sagt Thomas Nierle, der Präsident von Médecins sans Frontières Schweiz (MSF).

Schlangenbisse können also auch schwere Behinderungen zur Folge haben, weil das Gift zum Beispiel Teile des Gehirns lähmt oder chronische Krämpfe verursacht oder ein Bein so stark anschwellen lässt, dass man es amputieren muss.

Audio
Radio SRF 2, 10.09.2015: Schlangenbisse – vernachlässigte Gefahr
03:58 min
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Ab Mitte 2016 keine Vorräte mehr

Das müsste nicht sein. Denn gegen das Gift der gefährlichsten Schlangen gibt es wirksame Anti-Seren, wie sie in reichen Staaten wie etwa Nordamerika oder Australien auch reichlich vorhanden sind. Auch in Asien sind zumindest ein paar gute Gegengift-Cocktails auf dem Markt. Nicht jedoch in Afrika.

Schon bisher gab es gemäss MSF gerade mal ein Antiserum, das zuverlässig gegen die gefährlichsten Schlangengifte im Raum südlich der Sahara wirkt: Fav-Afrique von Sanofi Pasteur. Doch der französische Hersteller hat die in Afrika nicht lukrative Produktion eingestellt, und die letzten Vorräte laufen bis spätestens Mitte 2016 aus, kritisierten die Ärzte ohne Grenzen diese Woche an einem internationalen Gesundheitskongress in Basel.

Zwar gebe es noch andere Antiseren für Afrika, doch seien die in der Wirkung unsicher und jeweils auch nur auf eine oder wenige Giftschlangen ausgerichtet. Letzteres macht wenig Sinn, weil selten klar ist, welche Schlange genau jemanden gebissen hat.

Chronisch vernachlässigtes Problem

Ein zuverlässiger Ersatz für Fav-Afrique ist für die nächsten paar Jahre also nicht in Sicht. Die ohnehin prekäre Lage in Afrika verschärft sich damit weiter: Bald werden neben den vielen armen Bewohnern auf dem Land, die sich teure Antiseren noch nie leisten konnten, auch wohlhabendere Städter der Waffe der Giftschlangen sozusagen schutzlos ausgeliefert sein. Und auch Touristen sind betroffen. Sie müssen künftig gut aufpassen, auf der Safari nicht auf eine Giftschlange zu treten.

Eigentlich eine groteske Situation. Da gäbe es eigentlich ein hochwirksames Mittel, mit dem sich Tausende von Todesfällen und schweren Behinderungen vermeiden liessen. Doch weil es sich nicht rechnet, zieht sich der Hersteller zurück. Und niemand spring in die Bresche. Thomas Nierle von Medecins sans Frontières überrascht diese Passivität nicht: «Von Schlangenbissen betroffen sind vor allem arme Menschen, die international schon immer wenig Beachtung gefunden haben. Wir haben es hier mit einer chronischen Vernachlässigung eines grösseren Gesundheitsproblems zu tun.»

Schlangenbisse gravierender als Tollwut

Das Gesundheitsproblem «Schlangenbiss» ist den Zahlen von MSF zufolge grösser als etwa jenes der Tollwut. Zur Bekämpfung der Tollwut und weiterer ebenfalls vernachlässigter Krankheiten wird aber gemäss MSF mehr investiert als zur Entwicklung guter und günstiger Schlangen-Gegengifte.

Video
Beissen Schweizer Schlangen, geht es nur selten um Leben und Tod
Aus Puls vom 03.10.2011.
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Schlangenbisse seien auch in keinem Programm der Weltgesundheitsorganisation WHO integriert. WHO-Sprecher Gregory Hartl sagt dazu: «Es stimmt, Schlangenbisse sind ein verkanntes Gesundheitsproblem. Leider ist es sehr schwierig, dafür Geldgeber zu finden. Wir haben das intensiv, aber erfolglos versucht und begrüssen daher das Engagement von Médecins sans Frontières sehr.»

Auf einem «Schlangengift-Symposium» am Europäischen Kongress für Tropenkrankheiten und öffentliche Gesundheit konnte Médecins sans Frontières dem Problem eine gewisse Aufmerksamkeit verschaffen. Doch damit Pharmafirmen bald zuverlässige und zahlbare Antiseren auch für arme Weltgegenden herstellen, braucht es darüber hinaus politischen Druck und die Bereitschaft, teure Mittel mitzufinanzieren. Das kann nur gelingen, wenn sich Politik und Gesundheitsorganisationen stärker engagieren als heute.

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