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Phänomen: Gebrochenes Herz
Aus Einstein vom 05.03.2015.
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Gebrochenes Herz – Im schlimmsten Fall droht der Tod

Wenn die grosse Liebe zerbricht, bricht auch das Herz: ein Gefühl, das wir alle kennen. Doch gebrochene Herzen sind mehr als Herzschmerz. Ärzte und Hirnforscher in Zürich untersuchen das relativ neue medizinische Phänomen, das unbehandelt sogar lebensbedrohlich sein kann.

«Ein eiskalter Schmerz, wie eine Faust, die auf die Brust drückt»: So beschreibt Ingrid Moresi, wie sie ihr gebrochenes Herz fühlte. «Der Schmerz wurde immer schlimmer und ich bekam Atemnot.» Die 60-Jährige fuhr gerade im Auto zur Arbeit, als sie plötzlich die Symptome spürte. Als sich ihre Situation verschlimmerte, wurde sie ins Spital eingeliefert. Verdacht: Herzinfarkt.

Eine Katheteruntersuchung zeigte jedoch, dass ihre Herzkranzgefässe nicht verengt waren. Auch ein Herzinfarkt konnte ausgeschlossen werden. Aber was war es dann? «Die Pumpleistung ihres Herzens war drastisch verringert», erinnert sich der behandelnde Kardiologe Christian Templin vom Universitätsspital Zürich. «Das Phänomen wird auch Broken-Heart-Syndrom genannt.»

Broken-Heart-Syndrom

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In der Fachsprache wird die Krankheit auch Takotsubo-Kardiomyopathie genannt. «Takotsubo», da die Form des pumpschwachen Herzens einem gleichnamigen Tonkrug mit engem Hals und rundem Bauch ähnelt, der in Japan als traditionelle Tintenfischfalle verwendet wird.

«Worst Case» ist der Tod

Ingrid Moresi hatte Glück, dass sie rechtzeitig ins Spital eingeliefert und sofort behandelt wurde. Denn der Zustand kann lebensbedrohlich sein.«Worst case ist der Tod», betont Templin. «Es sterben im Spital am ‹Broken Heart› genau so viele Patienten wie am akuten Herzinfarkt.» Jeder Zwanzigste überlebt das «Broken Heart» nicht.

Der erste Broken-Heart-Fall wurde 1990 beschrieben, die Erkrankung ist aber erst seit wenigen Jahren unter Medizinern breiter bekannt. Erforscht ist sie noch kaum. «Wir kennen den Auslöser, den sogenannten Pathomechanismus, noch nicht», sagt Templin und weist gleichzeitig auf seine eigene Forschungsarbeit hin. Unter seiner Leitung hat sich in Zürich die weltweit grösste Datensammlung zum Broken-Heart-Syndrom etabliert.

1750 Fälle haben die Zürcher Forscher bislang weltweit zusammengetragen. «Hier in Zürich haben wir etwa 20 Fälle pro Jahr. Das ist eher wenig, aber wir denken, dass die Erkrankung eher unterdiagnostiziert wird», meint der Kardiologe. Die Studie ist die erste weltweit, die die offenen Fragen mit einer grösseren Patientengruppe zu klären versucht. Erste Ergebnisse werden demnächst in der Fachpresse publiziert.

Risikofaktor Stress

Die meisten Betroffenen berichten von einem emotionalen Schockerlebnis, das die Krankheit ausgelöst hat. Häufig war das der plötzliche Tod des Partners. «Auch Liebeskummer kann ein Auslöser sein», berichtet Templin aus seiner grossen Sammlung an Patientengeschichten. Ingrid Moresi litt seit Jahren unter privatem und beruflichem Dauerstress. Dazu kam noch eine Beziehungskrise «Ich merkte es nicht und plötzlich wurde alles zu viel», erzählt Moresi von ihrer Zeit vor dem Ereignis.

Es sind vor allem Frauen nach der Menopause, die vom Broken-Heart-Syndrom betroffen sind. Eine Erklärung hierfür haben die Mediziner noch nicht. Die Vermutung liegt nahe, dass Hormone eine Rolle spielen, denn in der Menopause verändert sich der Hormonhaushalt der Frau grundlegend.

Herz und Hirn: Eine schicksalhaft Verbindung

Ferner untersuchen die Forscher die Wechselwirkungen zwischen Herz und Hirn. «Sie sind enger miteinander verbunden als bisher gedacht», erklärt Hirnforscher Lutz Jäncke, nachdem er die Gehirne von 20 Patienten durchleuchtet hat. «Hirn und Herz sind in beide Richtungen miteinander verbunden.»

Das Hirn moduliert die Herzfunktionen und das Herz sendet Signale ans Hirn. Die grosse, ungelöste Frage ist laut Lutz Jäncke, welche Rolle Stress spielt. «Viele Leute haben Stress, aber nur wenige entwickeln ein Broken-Heart-Syndrom. Warum ist das so?» Gibt es eventuell Unterschiede in der Anatomie der Gehirne?

Hirnscans fördern Erstaunliches zutage

Im Vergleich zu gesunden Menschen zeigen die Gehirne der betroffenen Patienten massive anatomische Auffälligkeiten. Und zwar tief im Innern des Gehirns, im Gebiet der Insel – eine Region, die für die Verarbeitung der Signale vom Herz zum Hirn verantwortlich ist. «Das Volumen und die Packungsdichte der grauen Zellen ist dort bei Broken-Heart-Patienten kleiner», sagt Jäncke. Was das genau bedeutet, wissen die Forscher noch nicht. Es könnte die Ursache oder auch die Folge der Erkrankung sein.

Ingrid Moresi hat sich innerhalb weniger Tage wieder erholt und sich vorgenommen, sich in Zukunft nicht mehr alles so sehr zu Herzen zu nehmen.

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