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Schilddrüsen-Unterfunktion – Wer braucht wirklich Medikamente?
Aus Puls vom 05.02.2018.
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Wer soll Schilddrüsenhormone schlucken?

Schilddrüsenhormon-Präparate zählen zu den meistverkauften Medikamenten. Unbestritten ist: Produziert die Schilddrüse zu wenig ihres Hormons Thyroxin, brauchen Betroffene eine Behandlung. Weniger einig ist sich die Fachwelt beim Therapiebedarf leichter Vorstufen.

Wer soll Schilddrüsenhormone schlucken? Keine Frage: Wenn die Schilddrüse zu wenig Hormone produziert, brauchen Betroffene Hormon-Präparate. Weniger einig ist sich die Fachwelt über die Behandlung von Fällen mit leicht auffälligen Laborwerten. Eine aktuelle Studie belegt, dass über 65-Jährige von einem solchen frühen Therapiebeginn nicht wirklich profitieren.

Schilddrüsenhormone: unverzichtbare «Antreiber»

Schilddrüsenhormone regen den Zellstoffwechsel fast aller Organe an; sie sind deshalb lebensnotwendig. Um die Hormone herzustellen, braucht die Schilddrüse Jod.

Gesteuert und wenn nötig angekurbelt wird die Schilddrüsen-Tätigkeit von einem Hormon der Hirnanhangdrüse, dem TSH.

Wie erkenne ich die Symptome eines Schilddrüsen-Hormonmangels?

Ein Schilddrüsenhormon-Mangel führt zu einer Palette von Symptomen.

  • Typisch sind: ständige Müdigkeit, Antriebslosigkeit, sprödes Haar, sehr trockene Haut, Verstopfung, starkes Frieren, Gewichtszunahme
  • Weitere mögliche Anzeichen sind kalte Haut, Heiserkeit, beeinträchtigtes Gehör.
  • Mit der Zeit steigt der Cholesterin-Spiegel im Blut, was Arterienverkalkungen fördert und damit das Risiko für einen Herzinfarkt.
  • Da die körperlichen und psychischen Symptome schleichend zunehmen, erkennen Betroffene oder auch Ärzte zum Teil zunächst nicht, dass eine Erkrankung vorliegt. Man sucht andere Erklärungen, zum Beispiel die Wechseljahre.

Manifeste Unterfunktion: Wenn die Schilddrüse zu wenig Hormone produziert

Wenn die Schilddrüse nicht genügend Hormone herstellt, spricht man von einer manifesten Schilddrüsen-Unterfunktion. Die Drüse produziert dann zu wenig T4 (Thyroxin) und T3 (Trijodthyronin). Gleichzeitig schüttet die Hirnanhangdrüse des Gehirns vermehrt TSH aus, um die Schilddrüse anzukurbeln. Bis zu zwei Prozent der Bevölkerung entwickeln eine manifeste Schilddrüsen-Unterfunktion. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, vor allem Frauen in gebärfähigem Alter.

Häufige Ursache ist eine chronische Schilddrüsenentzündung: die Hashimoto-Thyreoiditis. Dabei handelt es sich um eine Autoimmun-Erkrankung, deren Auslöser unbekannt sind. Auch Jodmangel beeinträchtigt die Funktion der Schilddrüse.

Nur TSH-Wert erhöht: Auch die subklinische Unterfunktion behandeln?

Häufiger als eine eigentliche Unterfunktion der Schilddrüse ist die subklinische Unterfunktion. Das heisst: Die Schilddrüse stellt genügend Hormone her, und Betroffene haben keine eindeutigen Symptome; aber: das Steuerungshormon TSH des Gehirns weist leicht auffällige Werte auf.

Die subklinische Schilddrüsenunterfunktion ist relativ häufig, je nach Quelle sind 3 bis 18 Prozent der Erwachsenen betroffen, vor allem ältere Menschen, Frauen häufiger als Männer.

Es scheint einen Trend zu geben, auch diese leichten subklinischen Fälle vermehrt zu behandeln. Das hat eine Studie für Grossbritannien belegt. Doch die Praxis ist umstritten.

Eine aktuelle internationale Studie mit Schweizer Beteiligung kommt zum Schluss: Studien-Teilnehmer mit leichter subklinischer Schilddrüsen-Unterfunktion profitierten nicht von der Einnahme von Schilddrüsen-Hormonen. Fazit der u.a. mit EU-Geldern finanzierten Studie: Bei TSH-Werten unter 10 mU/l sei eine Behandlung unnötig.

Schweizer Fachleute teilen diese Ansicht mehr oder weniger ausgeprägt und sehen Ausnahmen von der Regel: Vor allem für ungewollt unfruchtbare Frauen und Schwangere. Für sie kann es nach verbreiteter Ansicht angebracht sein, Schilddrüsen-Hormone einzunehmen.

Strittig ist hingegen, ob für ältere Menschen höhere TSH-Werte toleriert werden sollten.

Manche Spezialisten befürworten allgemein Behandlungsversuche, die nach einiger Zeit überprüft und allenfalls abgebrochen werden, wenn sie nichts bringen.

Menschen mit leichter Unterfunktion profitieren nicht von Behandlung

Eine aktuelle internationale Studie mit Schweizer Beteiligung kommt zum Schluss: Studienteilnehmer mit leichter subklinischer Schilddrüsenunterfunktion profitierten nicht von der Einnahme von Schilddrüsenhormonen. Fazit: Bei TSH-Werten unter 10 mU/l sei eine Behandlung unnötig.

Schweizer Fachleute teilen diese Ansicht mehr oder weniger und sehen Ausnahmen von der Regel: vor allem für ungewollt unfruchtbare Frauen und Schwangere. Für sie kann es nach verbreiteter Ansicht angebracht sein, Schilddrüsenhormone einzunehmen.

Strittig ist hingegen, ob für ältere Menschen höhere TSH-Werte toleriert werden sollten.

Manche Spezialisten befürworten allgemein Behandlungsversuche, die nach einiger Zeit überprüft und allenfalls abgebrochen werden, wenn sie nichts bringen.

Laborwerte Schilddrüsen-Unterfunktion:

Normalwert des Schilddrüsen-Hormons T4 (Thyroxin) im Blutserum.

  • Normal ist ein fT4 von 9.9 bis 19.3 pmol/l (Pikomol pro Liter).

DARUNTER bedeutet: Unterfunktion

Steuerungs-Hormon TSH im Blutserum:

  • Normal ist ein TSH-Wert von 0.4 bis etwa 4.0 mU/l (Milliunits per liter)

DARÜBER bedeutet beginnende bis ausgeprägte Unterfunktion

Subklinische Schilddrüsen-Unterfunktion (fT4 normal, TSH erhöht):

  • Sehr leicht erhöhter TSH-Wert: 4.5 bis 10 mU/l
  • Stärker erhöhter TSH-Wert: 10.5 bis 20 mU/l (darüber = stark erhöht)

Schilddrüsen-Medikamente: immer mehr verschrieben

Grafik zur Verschreibungspraxis.
Legende: SRF

In den letzten zehn Jahren ist der Verkauf von Schilddrüsenmedikamenten in der Schweiz stark gestiegen. 2007 wurden 680'000 Packungen verkauft, 2017 über die Hälfte mehr, nämlich 1,1 Millionen. Diese Zahlen stammen vom Branchenverband Interpharma. Weder die Zunahme der Wohnbevölkerung noch eine Veränderung bei Verpackungsgrössen können den starken Anstieg erklären. Im neuen Helsana-Arzneimittel-Rapport figurieren Schilddrüsen-Hormone in der Top-20-Liste der meistverkauften Medikamente auf Rang 14. Auch für Länder wie Deutschland, England oder die USA ist belegt, dass Schilddrüsenhormone sehr häufig verschrieben werden. Begründet wird der Anstieg sehr unterschiedlich:

  • Allgemeine Zunahme von Autoimmunerkrankungen, so auch der chronischen Schilddrüsenentzündung
  • Vermehrte Behandlung sehr leichter, subklinischer Schilddrüsenunterfunktionen als «Trend»
  • Vor allem vermehrte Behandlung in der Schwangerschaft

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