Der Begriff «historisch» wird in Bezug auf die Schweizer Nationalmannschaft in diesen Tagen geradezu überstrapaziert. Allerdings wird er nicht falsch eingesetzt. Denn was sich rund um die Nati an der EM tut, ist tatsächlich historisch.
Am Freitag spielt die SFV-Auswahl gegen Spanien ihren ersten Viertelfinal an einem grossen Turnier seit 1954. Zuvor hatte sie schon an den Weltmeisterschaften 1934 und 1938 unter den letzten 8 gestanden. Und 1924 holte man am Olympia-Turnier den inoffiziellen Titel des Europameisters.
In St. Petersburg bietet sich der Schweiz eine weitere Möglichkeit dazu, Historisches zu schaffen. Mit einem Sieg über Spanien stünde man erstmals in einem EM-Halbfinal.
Die grosse Frage: Wer ersetzt Xhaka?
Mit einer taktischen Meisterleistung hat Vladimir Petkovic die Schweiz zum Sieg über Frankreich gecoacht. Gegen Spanien ist abermals sein Taktik-Genie gefragt. Vor allem die Frage, wer den gelb-gesperrten Captain Granit Xhaka ersetzt, dürfte ihm Kopfzerbrechen bereiten.
Die wahrscheinlichste Variante ist, dass Denis Zakaria zum Zug kommen wird. Der 24-Jährige von Borussia Mönchengladbach war vor seiner Verletzung im Frühling 2020 der zweite Mann neben Xhaka im Zentrum, ehe er in der Hierarchie von Remo Freuler überholt wurde.
Zakaria neben Freuler – das ändert die Spielweise der Schweiz. Zakaria und Freuler sind zwei laufstarke Spieler zwischen den Strafräumen, aber es fehlen die Ruhe und Übersicht von Stratege Xhaka. Das muss aber nicht ein Nachteil sein, zumal sich Freuler bewusst ist, dass er nun mehr Verantwortung tragen wird.
Und da ist die psychologische und gruppendynamische Komponente. Wenn der Chef fehlt, schlüpfen andere in diese Rolle. Vielleicht bringt die Schweizer Mannschaft gerade weil Xhaka fehlt, das entscheidende Quantum an Leidenschaft, Energie und Feuer auf den Platz, das nötig sein wird.
Spanien spielt sich in Turnierform
Was allerdings kein Vorteil mehr sein wird: Die Spanier sind gewarnt und werden sich nach dem Schweizer Coup über Frankreich davor hüten, das Petkovic-Team zu unterschätzen.
Nach den Startschwierigkeiten hat sich Spanien gefangen und gegen die Slowakei und Kroatien 10 Tore geschossen. Trainer Luis Enrique lässt keine Unruhe zu und schottet sein Team komplett ab. Die Negativ-Schlagzeilen hätten das Wir-Gefühl verstärkt, gab Ferran Torres zu: «Das hat uns noch mehr verbunden.»
Das Kollektiv überzeugt
Spanien hat sich trotz immer wieder kleinerer Veränderungen in der Startelf in Turnierform gespielt. Das Team überzeugte zuletzt im Kollektiv, das auf viel Ballbesitz aus ist und grosse Torgefahr generiert. Kein Spieler überragt die anderen, die ganz grossen Namen fehlen – das macht den Gegner für die Schweiz umso gefährlicher.