Heinz Günthardt, gestern kam die Information der French Open, dass das Turnier auf Ende September verlegt wird. Anscheinend fällten die Organisatoren diesen Entscheid, ohne mit anderen involvierten Parteien Rücksprache zu nehmen. Wie sehen Sie die aktuelle Situation?
Heinz Günthardt: Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Roland Garros diesen Entscheid ohne Rücksprache mit der ATP gefällt hat. Die Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt betrifft ja auch kleinere Turniere. Es würde mich sehr überraschen, wenn hier keine Kommunikation stattgefunden hätte. Dass man sich wahrscheinlich nicht einig geworden ist, ist auch klar. Schliesslich würden die betroffenen ATP-Turniere, die im Zeitraum der French Open stattfinden würden, ausfallen.
Dass auch die Spieler daran interessiert sind, alle Grand Slams ausrichten zu können, steht für mich deshalb ausser Frage.
Ist diese Verschiebung denn im Interesse der Spieler? Die Empörung in den sozialen Medien war sehr gross.
Was bekommt ein Spieler respektive eine Spielerin für eine Erstrunden-Partie zum Beispiel in St. Petersburg? Und was gibt es bei Grand-Slam-Turnieren? Es geht bei diesen Events um so viel mehr Geld, Punkte und Prestige. Dass auch die Spieler daran interessiert sind, alle Grand Slams ausrichten zu können, steht für mich deshalb ausser Frage. Nur schon mit der Teilnahme an allen vier Grand-Slam-Turnieren kann sich ein Athlet ein ganzes Jahr finanzieren. Ohne ein Spiel zu gewinnen, belaufen sich die Einnahmen auf über 120'000 Dollar.
Der neue Termin liegt Ende September. Macht das Sinn?
Ja, absolut. Dieser Zeitraum ist der einzig richtige.
Weshalb?
Man hat versucht, den Zeitpunkt so spät wie möglich zu wählen. Je später, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Turnier stattfinden kann. Wir dürfen nicht vergessen: Die French Open sind ein Outdoor-Turnier, ewig kann man es nicht hinausschieben.
Roland Garros würde, Stand jetzt, eine Woche nach den US Open stattfinden. Kann man das den Spielern überhaupt zumuten?
Wir befinden uns aktuell in einer aussergewöhnlichen Situation. Ist es optimal? Nein, natürlich nicht! Es ist kein Geheimnis, dass zum Beispiel Rafael Nadal auf Sand besser spielt, wenn er genügend Vorbereitungszeit hat. Aber die French Open sind ein Pfeiler des Tennissports, es muss allen daran gelegen sein, dass dieses Turnier stattfinden kann. Rein sportlich gesehen bin ich der Meinung, dass es zumutbar wäre. Zudem könnte man ja in der Woche vor Paris parallel zur Qualifikation noch Sandplatz-Turniere austragen. Bei einem anderen Thema müsste man aber bestimmt über die Bücher.
Was sprechen Sie an?
Das Ranking. Die Deadline für eine Grand-Slam-Teilnahme ist aktuell rund 6 Wochen vor Turnierbeginn. Sollten drei Majors so kurz nacheinander stattfinden, würde das natürlich keinen Sinn mehr machen. Hier müssten die Verantwortlichen flexibel sein, neue Deadlines definieren. Ganz konkret könnte das heissen: Mit einem guten Abschneiden in Wimbledon kann man sich für die US Open qualifizieren. Dasselbe würde dann natürlich auch für die French Open gelten. Man könnte sogar noch weitergehen. Weshalb führt man nicht eine Art «Super-Ranking» ein? Nach den drei Majors wird der respektive die Beste in diesem Zeitraum gekürt. Man sollte kreativ bleiben.
Es würde also nichts dagegensprechen, den Laver Cup auf Ende Saison zu verschieben.
Sie hätten genügend Ideen. Glauben Sie, die Verantwortlichen denken ebenfalls in diese Richtung?
Das weiss ich nicht. Aber es ist nun mal so: Diese aussergewöhnliche Situation erfordert aussergewöhnliche Massnahmen. Not macht bekanntlich erfinderisch. Weshalb nicht etwas ausprobieren? Wer weiss, vielleicht fragt man sich danach, weshalb man nicht schon früher darauf gekommen ist.
Die Verschiebungen tangieren auch den Laver Cup, der eigentlich vom 25. bis 27. September stattfinden sollte. Was passiert damit?
Erlauben Sie mir eine Gegenfrage: Was passiert mit der «Off Season» Ende Jahr? Diese braucht es in diesem Jahr in der aktuellen Form nicht. Wir befinden uns derzeit quasi in der Nebensaison, es wird ja nicht gespielt. Es würde also nichts dagegensprechen, den Laver Cup auf Ende Saison zu verschieben. Dasselbe gilt übrigens auch für andere Turniere im Herbst, die wir eingangs angesprochen haben. In der Halle ist es ja kein Problem, auch im Herbst oder Winter zu spielen.
Ich lerne meine Frau gerade sehr gut kennen, obwohl wir schon über 30 Jahre verheiratet sind.
Noch ein Wort zu Ihrer persönlichen Situation. Sie halten sich aktuell in Südfrankreich auf. Wie erleben Sie die derzeitige Lage?
Meine Frau und ich stehen seit einigen Tagen unter Hausarrest. Wir dürfen das Haus nur noch mit einem Formular verlassen, auf dem steht, zu welchem Zweck wir dies tun. Es ist schon eine spezielle Situation. Ich lerne meine Frau gerade sehr gut kennen, obwohl wir schon über 30 Jahre verheiratet sind (lacht).
Das Gespräch führte Svenja Mastroberardino