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OP im Alter – Raus aus dem Spitalbett!
Aus Puls vom 24.04.2017.
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Operation im Alter «Der Körper verliert an Kraft, wenn wir ihn nicht beanspruchen»

Wer sich zu sehr schont, tut sich keinen Gefallen. Besonders nicht im hohen Alter, wenn eine Operation ansteht. Weshalb? Nachgefragt bei David Gisi, Direktor des Instituts für Physiotherapie am Kantonsspital Winterthur.

SRF: Steht eine Operation an, schonen wir uns normalerweise im Vorfeld. Wir ruhen möglichst viel und vermeiden körperliche Anstrengungen. Was soll daran falsch sein?

David Gisi: Das Problem ist, dass man damit genau das Gegenteil bewirkt. Unser Körper sammelt nicht etwa Kräfte, wenn wir ihn nicht beanspruchen – er verliert sie.

Zum einen leiden periphere Kraft und Gleichgewicht, weil sich die ungenutzten Beinmuskeln zurückbilden. Dadurch wird der Gang unsicherer, was dazu führt, dass man erst recht liegen bleibt und weiter an Kraft und Ausdauer verliert.

David Gisi

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David Gisi

David Gisi ist diplomierter Physiotherapeut und im Kantonsspital Winterthur als Direktor des Instituts für Physiotherapie tätig. Neben seinen Führungsaufgaben und der klinischen Tätigkeit am Patienten, engagiert er sich in der Erforschung des Nutzens der Prehabilitation bei Patienten vor elektiven Eingriffen.

Zum anderen leidet auch das Herz-Kreislauf-System unter dieser Abwärtsspirale: Die Auswurfleistung des Herzens nimmt ab, es wird weniger Blut ins System gepumpt, unsere Leistungsfähigkeit sinkt immer weiter.

Vor einer Operation sollte man also nicht ruhen, sondern sich bewegen.

Genau. Je fitter man ins Spital kommt, desto besser die Chancen, den Eingriff gut zu überstehen und bald wieder nach Hause zu können.

Lässt sich kurz vor einem Spitaleintritt die körperliche Verfassung überhaupt noch verbessern?

Idealerweise würde man Monate vor der OP beginnen und einen gezielten Aufbau machen wie für einen Marathon. In der Realität ist das kaum je machbar.

Was sich in kürzer Zeit erreichen lässt, soll eine Studie zeigen, die wir gerade machen. In der Praxis zeigt sich aber, dass drei Wochen Vorlauf Sinn machen. Mit neun intensiven Einheiten in dieser Zeit lassen sich bereits Verbesserungen bei Herz-Kreislauf und Kraft erreichen.

Wie finde ich heraus, ob ich Training nötig habe?

Das merkt man zum Beispiel daran, dass gewohnte Tätigkeiten zunehmend schwerer fallen. Etwa, wenn man beim Treppensteigen stärker ausser Atem gerät als früher oder eine vertraute Gehstrecke immer mehr Zeit in Anspruch nimmt.

Viele Patienten berichten auch, dass sie immer mehr Mühe haben, sich von einem Sofa zu erheben. Das ist ein typisches Zeichen für nachlassende Kraft in den Beinen. Wie es um die bestellt ist, lässt sich testen, indem man sich 30 Sekunden lang möglichst oft ohne Einsatz der Hände von einem Stuhl erhebt und wieder hinsetzt.

Sit-to-Stand-Test

Alter
Richtwert MännerRichtwert Frauen
60-64
17x15x
65-69
16x15x
70-7415x14x
75-7914x13x
80-8413x12x
85-8911x11x
90-949x9x

Ausdauer und Kraft hängen eng miteinander zusammen. Ein guter Anhaltspunkt für den Allgemeinzustand ist der Sechs-Minuten-Gehtest, den man beispielsweise auf einer Leichtathletikrundbahn machen kann.

Sechs-Minuten-Gehtest

Alter
Richtwert Männer
Richtwert Frauen
60-69572 m
538 m
70-79527 m
471 m
80-89417 m
392 m

Was empfehlen Sie Trainingswilligen?

Bei Patienten über 70, die vor einer Operation stehen, macht sicher als erstes ein ärztlicher Check und dann ein auf die Umstände angepasstes Programm Sinn.

Im Allgemeinen läuft es aber auf die gängigen Empfehlungen des BAG für einen aktiven Lebensstil hinaus: Pro Woche mindestens zweieinhalb Stunden Bewegung bei mittlerer Intensität. Das können Alltagsaktivitäten oder Sport sein.

Spazierengehen ist eine hervorragende Aktivität.

Spazierengehen ist beispielsweise eine hervorragende Aktivität, die wir im KSW auch als Therapie einsetzen. 6000 oder mehr Schritte pro Tag bringen über 70-Jährigen bereits enorm viel – erst recht in Verbindung mit frischer Luft und dem Naturerlebnis im Freien.

Für den Krafterhalt der Muskulatur empfehlen sich dazu immer wieder kurze Impulsbelastungen. Treppensteigen zum Beispiel, da lässt sich auch die Intensität wunderbar anpassen.

Und wie stelle ich sicher, dass ich mir dabei nicht zu viel zumute?

Ältere Personen sollten eine moderate Belastung wählen. Solange Sie während der Aktivität noch kurze Sätze sprechen können, sind Sie in diesem Bereich. Müssen Sie schon nach wenigen Worten Luft holen, sind Sie darüber.

Erstaunlich ist, wie schnell sich die Leistungsfähigkeit verbessern kann. Wir haben immer wieder Patienten, die völlig ohne Kondition zu uns kommen. Wenn wir die in zwei Wochen mit vier, fünf, sechs Trainings belasten, profitieren die schon enorm!

Was können Patienten tun, denen «alles weh tut»?

Gerade bei denen ist es wichtig, dass sie nicht jeder Belastung aus dem Wege gehen. Und das nicht nur aus Gründen der Fitness. Bei rheumatischen Erkrankungen ist es auch wichtig, die Schmerzen und Einschränkungen zu akzeptieren. Das fällt aktiven Menschen deutlich leichter.

Als Sportarten empfehlen sich gelenkschonende Aktivitäten wie Nordic Walking oder Aquajogging – das zu Unrecht etwas belächelt wird.

Bei rheumatischen Erkrankungen ist es auch wichtig, die Schmerzen und Einschränkungen zu akzeptieren. Das fällt aktiven Menschen deutlich leichter.

Velofahren ist von der Gelenkbelastung her ebenfalls sehr gut, stellt aber gewisse Anforderungen an Gleichgewicht und Koordination, die über den Möglichkeiten vieler Hochbetagter liegen. Da würde sich ein Hometrainer eher eignen, der selbst bei stark eingeschränkten Gelenken sehr verträglich ist.

Dann gäbe es noch diverse Übungen mit dem Theraband und ähnlichem. Die sind aber weit weg vom Alltagsleben und bieten keine Interaktion mit anderen Menschen.

Und wofür soll man sich im Zweifelsfall entscheiden?

Die Aktivität soll einem Freude bereiten. Denn nur was Spass macht, wird auch wirklich gemacht.

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