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Cannabis in der Medizin: Nachgefragt beim BAG
Aus Puls vom 17.10.2016.
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Gesundheit «Die Pharma hält sich in der Cannabis-Forschung sehr zurück»

Welche Hürden bestehen aktuell für den medizinischen Einsatz von Cannabis, und sind Änderungen in der Bewilligungspraxis in Sicht? Nachgefragt bei Markus Jann, Leiter Sektion Drogen beim Bundesamt für Gesundheit BAG.

SRF: Cannabis wird weltweit seit Jahrhunderten als Medikament eingesetzt. Bei welchen Beschwerden ist eine Wirkung wissenschaftlich belegt?

Markus Jann: Das gilt für starke Krämpfe, insbesondere bei Multipler Sklerose, chronische Schmerzzustände, Appetitlosigkeit bei AIDS sowie Übelkeit, Schmerzen oder Appetitlosigkeit bei Krebs.

Bei einer Reihe von anderen Krankheiten, zum Beispiel ADHS, Schlafkrankheiten, Parkinson oder auch Alzheimer gibt es wissenschaftliche belegte Hinweise auf eine Wirkung, die Datenlage ist jedoch noch nicht ausreichend für eine abschliessende Beurteilung, da braucht es weitere Forschung.

In der Schweiz ist der Konsum von Cannabis nach wie vor verboten. Für die medizinische Anwendung ist eine Ausnahmebewilligung des BAG nötig. Wie komme ich als Patient zu so einer Bewilligung?

Der behandelnde Arzt muss mit dem schriftlichen Einverständnis des Patienten beim BAG ein Gesuch einreichen. Auf unserer Website ist eine entsprechende Wegleitung, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen zu finden.

Der Arzt muss Angaben zu den Symptomen, der Diagnose, der Krankheitsgeschichte und den bisherigen Behandlungsansätzen machen. Nach Vorliegen der vollständigen Gesuchsunterlagen wird das Gesuch innert fünf Tagen entschieden.

Wieso ist die Hürde so hoch?

Das Volk hat mit der Revision des Betäubungsmittelgesetzes die medizinische Verwendung von Cannabis im Grundsatz ermöglicht. Die konkreten Umsetzungsbestimmungen wurden aber äusserst eng gefasst, da befürchtet wurde, dass sonst über die medizinische Verwendung die Cannabis-Legalisierung über die Hintertür angestrebt werden könnte.

Eine vom BAG finanzierte Studie hat Cannabis Mitte 2015 «insgesamt ein vielversprechendes Heilmittelpotenzial» attestiert. Damals hiess es, man werde die Studienergebnisse bei der künftigen Vergabe von Ausnahmebewilligungen einfliessen lassen. Was hat sich seither konkret geändert?

Zum einen hat diese Studie bestätigt, dass die Bewilligungspraxis des BAG dem aktuellen Stand der Forschung entspricht, und zum anderen haben wir jetzt eine Fülle von wissenschaftlich belegten Hinweise auf weitere, viel versprechende Anwendungsmöglichkeiten.

Auch hier braucht es weitere Forschung. Das dauert jedoch, und bis es soweit ist, arbeiten wir vor allem auf der Grundlage von Erfahrungsberichten und Fallstudien. Neue Indikationen werden unter Einbezug einer vom BAG eingesetzten Expertengruppe geprüft.

Ab 2017 wird Cannabis in deutschen Apotheken auf ärztliches Rezept abgegeben. Was bedeutet das für die Bewilligungspraxis hierzulande?

Das hängt im Wesentlichen davon ab, unter welchen Umständen und welche Art von Cannabis abgegeben werden soll. Wenn es im Rahmen einer ärztlichen Behandlung geschieht und ein in Deutschland als Arzneimittel zugelassenes Hanfprodukt abgegeben wird, könnte das die Zulassung von natürlichem Hanf zu medizinischen Zwecken in der Schweiz erleichtern.

Genaueres werden wir erst sagen können, wenn klar ist, wie genau das neue Gesetz in Deutschland umgesetzt werden soll. Offen bleibt natürlich auch für die Schweiz der Weg über eine Gesetzesrevision.

Bewilligte Gesuche um Ausnahmebewilligungen in der Schweiz


Erstgesuche
VerlängerungenTotal
Mai – Dez 2012
171113284
2013500238738
20146334101043
201511236071730
Jan – Okt 2016
1106
5761682

353319445477

In der Schweiz zeichnet sich keine Änderung des Status quo ab. Warum geht es nicht vorwärts, wenn man doch erkannt hat, dass Hanf als Medikament so viel Sinn macht?

Damit es vorwärts geht, braucht es in erster Linie sehr aufwändige klinische Studien. Die sind notwendig, damit die Zulassung eines neuen Medikaments überhaupt beantragt werden kann. Da zeigt sich die Industrie im Moment doch ziemlich zurückhaltend und hat noch wenig investiert.

Es gibt Anzeichen, dass das besser wird in nächster Zeit, aber im Moment hält man sich doch sehr zurück.

Und warum hält man sich derart zurück?

So ganz genau wissen wir das nicht. Da werden zum einen patentrechtliche Bedenken angeführt, weil sich Cannabis als Pflanze nicht so einfach patentieren lässt. Wir denken aber eher, dass die Pharmaindustrie fürchtet, dass die heilende Wirkung des Cannabis – die sehr günstig zu haben wäre – ihre eigenen Produkte konkurrenzieren würde.

Interpharma: «Investitionsanreize sind zentral»

«Puls» hat den Branchenverband Interpharma, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen mit den Aussagen des BAG zur auffälligen Zurückhaltung der Pharmaindustrie konfrontiert und folgende Stellungnahme erhalten:

Damit ein Wirkstoff als Medikament zugelassen werden kann, müssen aufwändige klinische Studien durchgeführt werden. Dies dauert in der Regel mehrere Jahre und ist mit hohen Kosten verbunden – und ob das Medikament dann auch wirklich zugelassen wird, ist häufig bis in die letzte Studienphase, in der ein Wirkstoff in der Regel an mehreren Tausend Patientinnen und Patienten getestet wird, nicht klar.

Die Wirksamkeit, Qualität und Sicherheit von Medikamenten hat oberste Priorität, und ohne umfassende klinische Prüfungen kann die Gesundheit der Patientinnen und Patienten nicht garantiert werden. Dies ist teuer, und deshalb sind für die forschenden Pharmaunternehmen Investitionsanreize (Patentschutz, Unterlagenschutz) zentral, da sich sonst die hohen Investitionen für die Entwicklung eines Medikaments, wo die Sicherheitsprüfungen eine zentrale Stellung einnehmen, finanziell nicht lohnen.

Sofern Medikamente mit dem Wirkstoff Cannabis entwickelt werden, welche die vorgeschriebenen klinischen Prüfungen erfolgreich durchlaufen und vom Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic zugelassen werden, ist nichts gegen die medizinische Verwendung von Cannabis einzuwenden. Es gibt bereits klinische Studien auch seitens der Industrie zu Cannabis. Ob es sich wirklich um ein «Superheilmittel» handelt, als das es teilweise dargestellt wird, ist heute (noch) nicht belegt.

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