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OP oder nicht? Kritischer Trend zur Bandscheibenoperation

Bandscheibenoperationen an Schweizer Spitälern haben seit 2007 um 20 Prozent zugenommen. Die Zahl ist zu hoch, sagen Experten. Meist bringt eine Behandlung mit Schmerzmitteln und Physiotherapie genauso viel.

Ab dem 20. Lebensjahr sind der Wirbelsäule die täglichen Belastungen zunehmend anzusehen – die Bandscheiben sind dabei ein solches klassisches Verschleissteil. Die gallertartigen Dämpfer zwischen den Wirbeln umgibt ein Faserring. Durch die ständige Belastung kann dieser im Lauf der Jahre spröde werden und brechen. Teile des weichen Gewebes treten durch die Bruchstelle nach aussen, drücken auf den Nerv oder den Spinalkanal (Rückenmarkskanal) und lösen heftige Schmerzen aus. Je nachdem, welche Nervenwurzel betroffen ist, strahlen sie in die Arme oder Beine aus. Am häufigsten leidet die Lendenwirbelsäule, die im Alltag am stärksten strapaziert wird. Doch nicht immer tut ein Bandscheibenvorfall, oder medizinisch die Diskushernie, weh: Es gibt auch stille Vorfälle ohne involvierte Nerven. Hier fällt die Diagnose meist zufällig im Rahmen einer anderen Untersuchung. Fünf Prozent aller Menschen sind mindestens einmal im Leben von einem Bandscheibenvorfall betroffen – damit erfüllt das Rückenleiden die Kriterien einer Volkskrankheit. Männer trifft es fast doppelt so häufig wie Frauen, meist zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr.

Selbst wenn die Schmerzen momentan kaum erträglich sind: Bei den meisten lassen sie nach drei bis sechs Wochen von selbst nach. In neun von zehn Fällen bilden sich die Bandscheibenvorwölbungen mit Hilfe von Physiotherapie und spezieller Übungen von selbst zurück. Dem zum Trotz nehmen die Bandscheibenoperationen seit Jahren zu. Im Jahr 2011 lag die Zahl in der Schweiz laut Bundesamt für Statistik bereits bei rund 7600 chirurgischen Eingriffen – rund einem Fünftel mehr als noch 2007. «Diesen Anstieg kann man medizinisch nur schwer erklären,» sagt Andreas Raabe, Direktor der Neurochirurgie am Inselspital Bern. Häufig, erklären Kritiker, erfolge die Operation vorschnell. Das liegt möglicherweise weniger an den Patienten als vielmehr an der steigenden Zahl der Ärzte und Kliniken, die diese Operation anbieten.

Konservative Behandlung oft erfolgreich

Ein chirurgischer Eingriff birgt jedoch zusätzliche Risiken – und die müssten nach Ansicht der Skeptiker nicht ohne Not eingegangen werden. Laut Studien geht es Operierten nach zwei Jahren weder besser noch schlechter als  konservativ Behandelten. Narben und Verwachsungen an der Operationsstelle können zusätzliche Probleme bereiten. Alternativ lässt sich in der ersten Phase der Schmerz medikamentös behandeln, je nach Schmerzpegel mit direkt injizierten, starken Medikamenten. Gleichzeitig werden Patienten heute so früh wie möglich wieder mobilisiert. Schon am Krankenbett beginnt die Physiotherapie, statt wie dazumal längere Bettruhe und Streckbett zu verschreiben.

Indikatoren für eine Operation

Nicht in jedem Fall, das schränken selbst Kritiker ein, ist es mit alternativen Massnahmen getan. Gemäss unverbindlichen internationalen Leitlinien kommt die Operation erst in Frage, wenn alle konservativen Massnahmen nicht gefruchtet haben. Zudem gibt es klare Gründe für eine Bandscheibenoperation:

  • Schwerwiegende Lähmungserscheinungen
  • Beeinträchtigung von Blasen- und Darmfunktion
  • Extreme Schmerzen, die andauern und sich auch mit Medikamenten nicht bekämpfen lassen

Wann jedoch eine Lähmungserscheinung schwerwiegend ist und Schmerzen unerträglich werden, ist höchst subjektiv – letzten Endes entscheidet der Leidensdruck eines Patienten, ob eine Operation in Frage kommt oder (noch) nicht.

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