Das Wichtigste in Kürze
- In der Schweiz werden 90 Prozent aller Verstorbenen kremiert – alternative Bestattungen in der Natur werden aber immer beliebter
- Zwei Brüder aus Spanien haben eine kompostierbare Bio-Urne erfunden, aus der ein Baum wachsen kann.
- Mittlerweile haben sie rund 90’000 solcher Urnen verkauft – Nachfrage steigend.
Mit der Giesskanne in der Hand steht Simon Rüegsegger in seinem Garten. Dort, wo er die Asche seiner Mutter vergraben hat. Das war im Mai, jetzt ist August.
Seit Monaten wartet der Familienvater darauf, dass endlich etwas spriesst. Denn er hat die Asche in einer besonderen Urne vergraben, sie enthielt den Samen eines Lebensbaums. «Ich fand die Idee schön, dass die Kinder sehen, wie aus dem Leben ihrer Grossmutter wieder neues Leben wächst», sagt Simon Rüegsegger.
Ein empfindlicher Prozess
Dass aus Asche, ein wenig Erde und einem Samen ein Baum wächst, klingt einfach. Ist es aber nicht. Denn wenn man die Asche eines kremierten Leichnams vergräbt, steigt der PH-Wert im Boden ungünstig an. Anstatt zu keimen, stirbt der Samen ziemlich schnell ab.
Dem Einfallsreichtum zweier Brüder aus Spanien ist es zu verdanken, dass es trotzdem funktioniert. Gérard und Roger Moliné haben die Urne entwickelt, in der Simon Rüegsegger seine Mutter begraben hat.
Der Samen muss überleben
Die Urne ist zu 100 Prozent kompostierbar. Ihre Besonderheit aber ist, dass sie aus zwei Kammern besteht. In den unteren Teil wird die Asche eingefüllt, in den oberen kommt ein Baumsamen. So ist er geschützt vor der Asche und kann in Ruhe keimen.
Der Samen ist umgeben von einem Wachstumsmedium aus Kokosnussschalen und Vermiculit: ein Mineral, das Wasser bindet, das der Samen für die Keimung dringend braucht.
Erst wenn sich starke Wurzeln entwickelt haben, löst sich die Trennwand zwischen den beiden Kammern auf. Die Wurzeln können jetzt in die untere Kammer hineinwachsen und die Nährstoffe und Mineralien aus der Asche nutzen, um sich zu kräftigen – so werden Baum und Asche eins.
Vom Grosi inspiriert
Der Legende nach wurde Gerard Moliné bereits als Junge die Idee zu dieser Urne eingepflanzt. Damals, Mitte der 1990er-Jahre, half er seiner Grossmutter bei der Gartenarbeit.
Sie war eine sehr naturverbundene Frau. Als sie einen toten Vogel fand, grub sie ein kleines Loch, legte den Vogel hinein und gab einen Samen dazu, bevor sie das kleine Grab mit Erde zuschüttete.
Aus den Überresten eines Lebewesens neues Leben zu kreieren – diese Idee blieb. Vor rund fünf Jahren wurde sie dann umgesetzt: Gérard Moliné produzierte die erste kompostierbare Bio-Urne, aus der ein Baum wachsen kann.
Mittlerweile hat das Unternehmen Bios rund 90’000 solcher Urnen verkauft und der Zuspruch wird immer grösser. Der Zeitgeist ist am Erfolg nicht unwesentlich beteiligt: Alternative Bestattungen in der Natur werden immer beliebter.
Naturbestattungen nehmen zu
In der Schweiz werden heute etwa 90 Prozent aller Verstorbenen kremiert. Viele wählen als letzte Ruhestätte nach wie vor ein traditionelles Urnengrab auf einem Friedhof.
Aber laut dem Schweizer Verband der Bestattungsdienste hat in den letzten Jahren die Anzahl der Hinterbliebenen deutlich zugenommen, die die Asche mit nachhause nehmen, um sie auf einem Berg, im Fluss oder im Garten auszustreuen.
Nicht nur Menschen, die gerade jemanden verloren hätten, interessierten sich für die Urne, sagt Roger Moliné, der sich auch um den Vertrieb der Urnen kümmert: «Einige unserer Kunden sind Mitte 20 und kaufen die Urne, damit ihr Umfeld weiss, wie sie einst bestattet werden wollen. Dass sie ein Baum werden wollen.»
Simon Rüegseggers Mutter war bereits sehr krank, als er ihr die Idee mit der Bio-Urne erzählte. Seine Mutter liebte die Natur. Sie war sofort begeistert. Genau so stellte sie sich ihre ewige Ruhe vor: als Baum in ihrem Garten, den sie jahrelang gepflegt hatte. Und Simon Rüegsegger freut sich, den Baum in seiner Nähe zu haben. Ein Bedürfnis, das viele Menschen haben.
Pflanzen, hegen, hoffen
Roger Moliné bezeichnet seine Bio-Urnen gerne als Prozess oder Therapie. «Bei unserem Produkt geht es um das Erlebnis. Pflanzen, pflegen und hoffen, dass daraus Leben wird.» Die Möglichkeiten, dass der Baum eingeht oder der Samen gar nicht erst keimt, gehören dazu. Eine Garantie dafür, dass der Baum überlebt, ist auch der Hightech-Topf nicht.
Die Angst, dass der Baum nicht spriessen oder eingehen könnte, ist laut Moliné die grösste Befürchtung seiner Kunden.
Simon Rüegsegger ist da glücklicherweise pragmatisch. Er hat einen Plan B, sollte aus seinem Samen kein Baum werden: «Wenn bis zum Frühling nichts kommt, kaufe ich irgendwo ein kleines Bäumlein und pflanze es ein – sonst sind die Kinder enttäuscht».