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Film & Serien Im Namen der Selbstforschung: Die «Visions du Réel» 2013

Die 44. Ausgabe der «Visions du Réel» wurde ihrem Ruf als Reflexionsort für die dokumentarischen «Visionen» in Ateliers mit bedeutenden Filmern erneut gerecht. Auffallend: Etliche neue Produktionen der Sélection standen für einen sehr persönlich inszenierten Blick der Selbsterforschung.

Das Festival «Visions du Réel» von Nyon hat sich in der vergangenen Woche mit 110 Filmen in den offiziellen Sektionen und dem «Doc Outlook International Market» erneut als wichtige internationale Plattform für den Dokumentarfilm profiliert. Dabei ist bei der Branchenteilnahme die Tendenz leicht steigend, und der Zuwachs an Kino-Eintritten beträgt über 10 Prozent.

Die Gewinner 2013

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Preis der Mobiliar (bester Kurzfilm): «Nwa-

Mankamana» (Laurence Favre)

Grosser Preis SRG SSR  (bester Schweizer Film): «La clé de la chambre à lessive» (Floriane Devigne, Fred Florey)

Grosser Preis der Schweizer Post  (bester Langfilm): «Karma Shadub» (Ramon Giger, Jan Gassmann)

Filmischen Erkundungen der Realität

Auch in seiner dritten Ausgabe hat sich Direktor Luciano Barisone weder inhaltlich noch formal gescheut, filmischen Erkundungen dessen, was wir leichthin Realität nennen, in ungemütliche Tiefen und bis zu den Rändern des Verstummens zu präsentieren. Das ist nicht ohne Risiko, wenn ein vermittelnder Zugriff der Filme fehlt: Das Aroma der Spezialitätenschau wurde diese Ausgabe der «Visions du Réel» jedenfalls nicht ganz los. Und die phantastische visuelle Kino-Kraft, wie sie etwa das Porträt eines archaischen Einzelgängers in einer amerikanischen Hummerfabrik im Film «Night Labor» zum Sinnbild einer modernen Condition humaine am Schnittpunkt von Wildnis und kalter industrieller Effizienz gerinnen lässt, blieb eher rar.

Engagement für das Individuum

Barisones Handschrift zeugt leidenschaftlich vom Engagement für das Individuum, für das Humane in seiner globalen Gefährdung: sozial, politisch, psychologisch, historisch. Auffallend, wie neue Produktionen der Sélection für einen sehr persönlich inszenierten Blick der Selbsterforschung stehen. Erschöpft sich dieser nicht im Phänomenologischen oder – eine leise Tendenz in Nyon – vage Poetischen, vermag er in scharfen Konturen über sich hinauszuweisen – auf eine ganze Gesellschaft oder eine ganze Generation. Auffallend auch: Das immer reicher verfügbare historische Videomaterial ermöglicht dabei spannende Re-Visionen und Konfrontationen mit (eigener) Geschichte. Das kann durchaus mit fernem Gruss an Michael Moore augenzwinkernd geschehen wie in Yoav Shamirs Film «10% - What makes a hero?».

Persönliche Perspeltiven der CH-Produktionen

Zwei Männer in einer Kirche
Legende: Ramòn Giger riskiert in «Karma Shadub» eine ziemlich unbarmherzige Auseinandersetzung mit seinem Vater Paul Giger Visions du Réel

Es waren gerade Schweizer Produktionen, die sich in Nyon durch die persönliche Perspektive auszeichneten, ohne der Nabelschau zu verfallen: Der Berner Simon Baumann stellt sich mit der (selbst-)ironisch inszenierten Erforschung seines vom Wandel geprägten Heimatdorfs in «Zum Beispiel Suberg» in Frage.

Dagegen riskiert und meistert Ramòn Giger in «Karma Shadub» eine ziemlich unbarmherzige, zwischen Zärtlichkeit und Entfremdung changierende Auseinandersetzung mit seinem übermächtigen Künstlervater Paul Giger. Und herausragend in seiner erhellenden sozialen Substanz in Bezug auf das Selbstverständnis einer deutschschweizerischen Elterngeneration ist Peter Liechtis Auseinandersetzung mit seiner Herkunft in «Vaters Garten. Die Liebe meiner Eltern».

Audio
Schlussbilanz vom Festival «Visions du Réel»
aus Kultur kompakt vom 26.04.2013.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 34 Sekunden.

Highlight mit «Vaters Garten. Die Liebe meiner Eltern»

Liechtis «hors concours» laufender Film war ein Highlight der «Visions du Réel», die ihrem Ruf als Reflexionsort für die dokumentarischen «Visionen» in Ateliers mit bedeutenden Filmern erneut gerecht wurden: Die Lettin Laila Pakalnina nahm mit ihrem poetisch-subversiven Blick (auch auf sowjetische Vergangenheit) ebenso für sich ein, wie der streitbare (und umstrittene) Israeli Eyan Shivan mit einer Fülle historischen Archivmaterials dadurch brilliert, wie der er die Instrumentalisierung des Opferstatus «als Impfstoff» in Israels Selbstverständnis in seinem Werk bissig und hartnäckig hinterfragt.

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