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Statt Ehemann lieber einen Kanarienvogel
Aus Kultur Extras vom 03.04.2014.
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Film & Serien Wenn Frau plötzlich Chef ist und Mann Lustobjekt

Frauen, die ein Unternehmen leiten? Frauen, die sich scheiden lassen? Frauen, die mit Männern spielen, als wären sie Marionetten? In den frühen 1930ern undenkbar. Ausser im Kino. Statt Heimchen am Herd gab es da hammerharte Herzchen, an denen Feministinnen ihre Freude gehabt hätten.

Es gab einmal eine Zeit, da waren Frauen nur Hausfrauen. Wollten sie einen Job, hiess es, sie würden Männern die Arbeit wegnehmen. Hätte jemand eine Quote für Frauen in Führungspositionen gefordert, er wäre als Irrer in die Anstalt gesperrt worden. So war das in den 1930ern in den USA. Überall? Fast. Auf den Leinwänden des Landes tauchten Frauengestalten auf, die ganz, ganz anders waren.

Sexualisierte, unabhängige und berufstätige Frauen

Zwischen 1930 und 1934 eroberten sexualisierte, unabhängige, oft arbeitende Frauen die Kinoleinwände. In den Filmen ging es um Sex, Ehebruch und Trennung. Im Drama «The Divorcee» von 1930 lässt sich eine Frau scheiden – nachdem ihr Mann fremdgegangen war – und lässt sich auf Affären ein. So was war vorher noch nie auf der Leinwand gezeigt worden.

Christliche Moralhüter und Zensoren hatten natürlich mit diesen Frauengeschichten grosse Probleme. Im Kino sollte die Ehe als heilig und alle anderen Beziehungsformen als minderwertig gezeigt werden. Aber in der sogenannten Pre-Code-Zeit gab es keine zentrale Behörde, die für die Einhaltung von Richtlinien für «moralisch, akzeptable» Darstellung sorgte. Deshalb blieben sie oft ungehört.

Rollenbilder wurden in Frage gestellt

Ein weiterer Grund, warum sich diese neuen Frauenfiguren auf der Leinwand durchsetzten: Die Weltwirtschaftskrise verunsicherte die US-Gesellschaft. Alte Rollenbilder wurden in Frage gestellt. Die Heiratsrate nahm ab. Männer ohne Arbeit verliessen ihre Familien und überliessen sie ihrem Schicksal.

Dementsprechend kamen viele der Pre-Code-Heldinnen aus den unteren Schichten. Beispiel «Babyface»: Der Vater von Heldin Lily betreibt eine Flüsterkneipe, in der er illegalen Schnaps und seine Tochter verkauft. Nach dem Tod des Vaters beschliesst sie, Karriere zu machen. Mit der Überzeugung, dass eine junge Frau alles erreichen kann, weil sie Macht über die Männer hat, zieht sie in die Grossstadt.

Die Macht von Sex

Lily findet eine Anstellung in einer Bank und schläft sich hoch. Die Macht von Sex war in dieser Deutlichkeit nie zuvor gezeigt worden. Die Zensoren waren entsetzt. Dialog- und Verführungsszenen wurden herausgeschnitten. Der Kritiker der New York Times fand den Film fürchterlich, bezeichnete ihn damals als anstössig und schlecht gemacht.

Es gab auch Filmheldinnen aus der High Society. Beispiel «Female»: Eine Frau im Business-Anzug sitzt an einem Tisch. Allein mit einem Dutzend Männern. Es ist klar, wer der Boss ist: Sie. Alison Drake leitet eine Auto-Fabrik. In den 1930ern klang das wie die Geschichte eines Zukunftsromans. Die New York Times schrieb 1933 in der Kinokritik, dass eine solche Frau in Realität schwer zu finden sei. 75% der berufstätigen Frauen waren damals Krankenschwestern oder Lehrerinnen. Frauen in Führungsfunktionen gab es nicht.

Männer als Lustobjekte

«Female»-Heldin Alison Drake ist nicht nur Firmenchefin, sondern auch alleinstehend. Sie behandelt Männer, wie diese Frauen in den 1930ern behandelten: Als Lustobjekt. Sie lebt ihre Sexualität frei aus. Macht gutaussehende Angestellte mit einem Cocktail aus Charme und Wodka gefügig.

Der Kritiker der New York Times hatte seinerzeit Probleme, eine solche Frauengestalt einzuordnen und kam schliesslich zu dem Schluss, Alison Drake wäre eine Nachahmerin von Katherina der Grossen. Die amerikanische Chefin einer Autofabrik mit der russischen Kaiserin zu vergleichen, ist weit hergeholt. Ihm war wohl keine andere Frau eingefallen, die in der Männerwelt etwas zu sagen hatte und viele Liebhaber besass.

Pre-Code-Filme

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Sammlung einiger Pre-Code-Klassiker: «Forbidden Hollywood 1-4», erschienen bei Warner Homevideo. Achtung: Nur Ländercode 1.

Auch wenn die meisten Filme der Pre-Code-Zeit dann doch mit der Begegnung des Traummannes endeten – gewisse Filmkonventionen mussten eben eingehalten werden – entstanden zwischen 1930 und 1934 Frauenfiguren, wie man sie erst Jahrzehnte später wieder im Kino sehen sollte. Denn durch die Gründung einer zentralen Zensurbehörde im Jahr 1934 wurden die Filmfrauen schnell wieder die Hüterinnen von Heim und Herd. Das war das Frauenbild der konservativen, christlich geprägten Zensoren. Überspitzt ausgedrückt: Hier wurde die devote Mustergattin und perfekte Putzkraft erfunden, die das amerikanische Kino der 50er und 60er dominierte. Hier nahm Doris Day ihren Anfang. Zensoren haben eben noch nie etwas getaugt.

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