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Gesellschaft & Religion Das Buch zur Stunde: «Im Namen Gottes – Religion und Gewalt»

Religion gehört genauso zur Menschheitsgeschichte wie Gewalt, schreibt Karen Armstrong. Die Britin verteidigt in ihrem neusten Buch die Religionen und zeigt ihr Friedenspotential auf. Die Aktualität des Terrors hat das Buch, das letzten Herbst erschien, nicht überholt. Es kommt zur rechten Zeit.

Es ist ein 600-Seiten-Werk über die Gewaltgeschichte in den Weltreligionen. In «Im Namen Gottes – Religion und Gewalt» schreibt die britische Religionshistorikerin Karen Armstrong auch gegen den Säkularismus an. Laizisten sähen Religion als eine längst überwundene Entwicklungsstufe des Menschen, die es abzuschaffen gelte, um Frieden zu schaffen.

Nein, kontert Armstrong. Gerade die Fähigkeit zur Empathie mit anderen Menschen mache den Menschen zum Menschen. Und Empathie, ja sogar selbstloses Mitgefühl sei genau das, was Religionen in ihrer Ethik und Mystik beschreiben. Im anderen Menschen begegne einem sogar Gott selber, können religiöse Menschen sagen. Und dies gelte nicht nur für Juden und Christen, sondern auch für Muslime und ähnlich für Buddhisten.

Von Friedensstifter bis Kriegstreiber

Blonde Frau mit hellem Wolloberteil
Legende: Vielseitig: Armstong war Nonne, hat Judaistik studiert und Arbeiten über den Propheten Mohammed veröffentlicht. Corbis

«In der Geschichte der Religionen war der Kampf um Frieden genauso wichtig wie der heilige Krieg. Religiöse Menschen haben alle möglichen genialen Methoden entwickelt, um mit dem aggressiven Machismo des Reptiliengehirns zurechtzukommen, um Gewalt zu umgehen und respektvolle, lebensfördernde Gemeinschaften aufzubauen.»

Armstrong begnügt sich aber nicht mit einer Verteidigung der Religionen. Gleich auf den ersten Seiten zeigt die das Sowohl-Als-Auch in den Religionen auf: Sie können eben nicht nur Frieden und Bildung befördern, sondern auch zu machtpolitischen Zwecken missbraucht werden. Das war bei den Kreuzzügen nicht anders als heute im «Islamischen Staat», IS. An dieser Stelle erklärt sie noch einmal das Konzept von «Dschihad»: Er meine eben gerade nicht den militärischen «Krieg», sondern das spirituelles Ringen um ein rechtschaffenes oder «gottgefälliges» Leben, also vielmehr ein inneres An-sich-Arbeiten.

Gewalt begleitet die Menschheitsgeschichte. Darin verwoben sind auch die Religionen. Armstrong kann in allen grossen Religionen beide Pole zeigen: die Friedensstifter (wie Ghandi und Martin Luther King) wie auch die Kriegstreiber (Papst Urban II oder Bin Laden). Herausfleddern lasse sich Religion bis heute nicht aus unseren Gesellschaften, und das sei auch gut so, schreibt Armstrong. Die sozial-ethische Kraft religiöser Gemeinschaften sei wertzuschätzen. Und keine Gesellschaft könne auf Spiritualität verzichten.

Beliebte Expertin für Medien und Politik

Buchhinweis

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Karen Armstrong: «Im Namen Gottes. Religion und Gewalt», Pattloch, 2014.

Auf dem europäischen Festland wird die 70-jährige Britin Armstrong gerade erst von einer breiteren Öffentlichkeit entdeckt. Armstrongs Artikel im Guardian und ihre TV-Sendungen auf BBC machten sie im englischsprachigen Raum sehr bekannt. Zudem ist sie regelmässig Gast bei der Uno und US-Regierung, die die Wissenschaftlerin in Religionsfragen konsultieren.

Dabei lässt sich Armstrong schwer auf «eine Seite» ziehen. Früher war sie eine römisch-katholische Nonne, verliess 1969 ihren Orden und ging an die Universität. Am renommierten Leo Baeck College studierte sie jüdische Studien und lehrte dort ebenso wie in Oxford. Für ihre Arbeiten über den Propheten Mohammed verlieh ihr die einflussreiche Al Azhar Universität in Kairo einen Orden. Muslimische Gelehrte dankten ihr damit für ihre Aufklärungsarbeit über den Islam im Westen. Aber auch ihre Bücher über Buddha und den Buddhismus wurden zu Bestsellern.

Populär, aber nicht populistisch

Besonders europäische Wissenschaftler halten Armstrong die Breite in ihren Büchern und Vorträgen immer wieder vor. Wie lassen sich auch «4000 Jahre Judentum, Christentum und Islam» in einem Buch zusammenfassen?

Armstrongs «Geschichte von Gott» kam bei den Leserinnen und Lesern allerdings gut an. Den grossen Bogen zu schlagen, die Gemeinsamkeiten der Religionen herauszustreichen und dadurch einen ethischen Nenner des Ganzen zu finden, ist Karen Armstrongs Anliegen. Sie fand diesen Nenner in der «Goldenen Regel» («Was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg' auch keinem Anderen zu») und im Mitgefühl oder der «Compassion».

Verteidigung der Religion um der Menschen willen

Auch in ihrem neuesten Buch stellt Armstrong ihre hohe Sachkenntnis über die Weltreligionen unter Beweis. Auch hier zeigt sie allgemeinverständlich den unverzichtbaren Wert religiöser Traditionen für unsere Gesellschaften heute. Dennoch ist es eine selbstkritische Verteidigungsschrift der Religion. Der Gewaltgeschichte widmet sie den Hauptteil dieses Buches.

Armstrong wendet sich gleichermassen gegen die, die meinen, man könne und müsse Religion einfach abschaffen, um Gewalt abzuschaffen. Und sie schreibt auch gegen diejenigen, die Religion für wirtschaftliche oder machtpolitische Zwecke instrumentalisieren und darüber die Menschlichkeit vergessen.

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