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Gesellschaft & Religion Die Gefangenen der Wüste

Seit bald 40 Jahren harren sie aus. 150'000 Flüchtlinge vom Volk der Sahrauis. Sie sind vor der Besatzungsmacht Marokko geflohen. Nun leben sie im Niemandsland nahe einer algerischen Oase. Das Gebiet ist stark minenverseucht. Eine Schweizer NGO hilft mit, diese Gefahr zu bannen.

Es führt keine Strasse in die Flüchtlingssiedlung Boujdour, nur eine Sandpiste. Kein Grün ist zu sehen. Ein paar Kamele tauchen auf, daneben ein Zelt, niedrige Lehmhäuser. Ein umgestürztes Autowrack dient Ziegen als Unterstand. Die Hitze ist schier unerträglich.

Der Westsahara-Konflikt

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Seit 1975 kämpft das Volk der Sahrauis, angeführt vom Frente Polisario, für eine unabhängige Westsahara. 1991 endete der Krieg mit der Besatzungsmacht Marokko; die Uno vermittelte einen Waffenstillstand und versprach ein Referendum. Während des Krieges fanden etwa 150'000 Sahrauis Zuflucht in Algerien. Sie leben seither in Lagern in der Wüste.

Vor einer Lehmhütte warten zwei Männer und eine Frau – Freiwillige, die die Bevölkerung für die Gefahren der Minen sensibilisieren. Flüchtlingsfrauen, in farbige Wickelgewänder gekleidet, stossen dazu. Man setzt sich in der winzigen Hütte auf den Boden. Die Einrichtung besteht lediglich aus Teppichen und ein paar Kissen.

Nahrungsmittel, Wasser und Gas

Eine der Frauen entschuldigt sich für die Verspätung: Ein Lastwagen der Uno habe soeben Gas geliefert. Die etwa 150'000 Flüchtlinge sind völlig abhängig von internationaler Hilfe; und das seit bald 40 Jahren. Nahrungsmittel, Wasser und Gas wird ihnen in die Wüste geliefert. Denn hier gibt es nichts ausser Sand und Sonne.

«Vielleicht habt ihr das selber gar nicht mehr erlebt», beginnt die Instruktorin den Kurs. «Wir hatten von 1975 bis 1991 Krieg. Das war ein richtiger Krieg, kein Spiel, mit Minen. Und die liegen bis heute herum.»

Minen, Fallen und Splitterbomben

Die Westsahara ist eines der am stärksten verminten Gebiete der Welt. Besonders vermint ist die Pufferzone am Sandwall, den Marokko errichtet hat. Der Wall ist über 2000 Meter lang. Er trennt die von der Polisario kontrollierten Gebiete von den von Marokko besetzten Gebieten der Westsahara.

Die Instruktorin projiziert Bilder von Minen und anderen explosiven Objekten an die Wand: Anti-Personenminen, Anti-Fahrzeugminen, Sprengfallen, Splitterbomben. Es gibt Minen, die aussehen wie Spielzeug, Minen mit Stolperdraht oder mit zeitverzögertem Zünder. Der Kurs ist eine drastische Lektion darin, wie ausgeklügelt diese Waffen töten und verletzen.

Erste Erfolge, erste Erleichterungen

Die Minen haben die Schweizer Nichtregierungsorganisation Geneva Call in das Niemandsland der Westsahara geführt. Als ein Mitarbeiter von Geneva Call vor über zehn Jahren zum ersten Mal hierher kam, war dies vergessenes Territorium. Trotz eines gigantischen Minenproblems gab es keine Programme zur Entminung, keine Opferhilfe und keine Aufklärung der Bevölkerung.

Geneva Call

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Geneva Call ist eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Genf. Sie setzt sich dafür ein, dass bewaffnete Gruppierungen humanitäre Normen respektieren, v.a. jene zum Schutz der Zivilbevölkerung. Anfänglich konzentrierte sich die NGO auf das Verbot von Minen, dehnte dann die Arbeit auf den Kinderschutz und auf das Verbot sexueller Gewalt aus.

Geneva Call nahm Kontakt mit der Frente Polisario auf, der militärisch-politischen Führungsorganisation der Sahrauis – mit dem Ziel, die Gruppierung davon zu überzeugen, auf den Einsatz von Minen zu verzichten. Der Frente Polisario unterschrieb einen entsprechenden Vertrag und zerstörte ab 2005 all seine Minenbestände.

In der Folge kamen ausländische Entminungsorganisationen in die Westsahara, die Hilfe für Minenopfer lief an, und es gab erste Sensibilisierungskurse für die Bevölkerung. Ein riesiger Erfolg für die Genfer NGO, und eine Erleichterung für die Sahrauis. Doch die Pufferzone und die anderen von Marokko kontrollierten Gebiete bleiben stark vermint. Und das grösste Problem der sahrauischen Flüchtlinge, das endlose Warten auf das versprochene Referendum, bleibt ungelöst.

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