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Gesellschaft & Religion «elBulli»-Meisterkoch öffnet das Labor seiner Molekularküche

Noch nie konnte man dem revolutionärsten Küchenchef der Welt so leicht über die Schulter blicken wie in dieser Schau in Madrid: Ferran Adrià, der Poet und Tüftler unter den Köchen, lüftet erstmals das Geheimnis seiner kulinarischen Künste – vom «virtuellen Schinken» bis zur Haselnuss-Kaviarcreme.

Im Jahr 1987 soll Ferran Adrià vom französischen Küchenchef Jaques Maximine die entscheidende Lehre fürs Leben empfangen haben: «Kreativität heisst, nicht nachzuahmen.» Mit dieser Philosophie eröffnete der Katalane im selben Jahr in Cala Montjoi an der Costa Brava sein Restaurant «elBulli» – und definierte den Gang der Küchenwissenschaften neu.

Warum sollte Eis nicht auch heiss sein?

Bis zur vorübergehenden Schliessung im Jahr 2011 erfanden Adrià und ein Team von Köchen und Laboranten ganze 1846 verschiedene Gerichte, immer geleitet von der Frage: «Warum?» Warum kann ein Eis nicht auch heiss sein, warum das Feste nicht flüssig? Oder das Flüssige nicht schaumig?

Audio
Paul Ingendaay zur Ausstellung von und über Ferran Adrià
aus Kultur kompakt vom 04.11.2014.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 4 Sekunden.

Die Ausstellung in der Madrider Fundación Telefónica bietet auf 1000 Quadratmetern wunderbare Einblicke in einen schöpferischen Prozess. Einen Prozess, der laut Selbstdefinition nach Harmonie strebt und nach Glück, der Schönheit und Poesie mit Humor und Provokation verschmelzen will: Für Ferran Adrià ist die Küche die Sprache, die alles ausdrückt.

Archivierung des Gourmet-Universums

Dabei handelt es sich keineswegs um eine Ästhetisierung des Gourmet-Universums. Im Gegenteil: Der meiste Platz ist den Experimenten und ihrer dokumentarischen Erfassung gewidmet. 5000 Versuche pro Jahr hat Adrià in seinen Labors durchführen lassen – nur 125 davon fanden am Ende auch den Weg auf den Teller des Gastes. Auf langen Stellwänden kann der Besucher einen Auszug der 14'000 Seiten Aufzeichnungen verfolgen, die seit dem Jahr 2000 entstanden sind.

So wollte der Meisterkoch etwa den Teigmantel von Ravioli in ein hauchzartes Nichts verwandeln. Nach langem Experimentieren gelang es ihm, aus japanischen Kartoffeln, Soja und Olivenöl eine transparente Oblatenhülle zu kreieren. Er macht damit deutlich: Küche ist nicht mehr einfach, was schmeckt. Sondern was die wissenschaftliche Neugier zu schaffen vermag.

Essen als ästhetisches Erlebnis

Ein kleiner gelber Block mit durchsichtigen Kügelchen darauf.
Legende: Eine typische Ferran Adrià-Kreation: Reis- und Parmesan-Cookies. Flickr / Scott Ashkenaz

Inzwischen hat Adrià die «elBulli Foundation» gegründet, unter deren Dach 2016 die Neueröffnung des Restaurants «elBulli» stattfinden wird: mit noch mehr Laborfläche, noch mehr Mitarbeitern, noch mehr Zeit fürs Experimentieren und noch weniger Gästen als früher.

In Madrid sind neben eigens designten Küchengeräten und futuristisch anmutendem Essgeschirr auch die Speisekarten einer 25-jährigen Karriere zu bewundern. In Zeiten höchster Verfeinerung arbeiteten 40 Köche für 50 Besucher am Tag. Sie schufen Kreationen wie Tomatensuppe mit «virtuellem Schinken», Haselnusskaviercreme oder «Nitro-Erdbeeren» an Parmesan. Von Richard Hamilton, dessen Küchenfotografie ebenfalls ausgestellt ist, stammt der Satz: «Ein neues Gericht im ‹elBulli› zu essen, ist ein genauso ästhetisches Erlebnis wie das Betrachten eines schönen Gemäldes.»

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