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Gesellschaft & Religion Exklusiv und explizit: Die schwule Geheimsprache Polari

Im homophoben London der 1960er-Jahre unterhielten sich schwule Männer in der Geheimsprache «Polari». Heute spricht sie keiner mehr. Aber in der Popkultur tauchen immer noch Versatzstücke von Polari auf. Und auf den Philippinen.

  • Um sich im London der 1960er-Jahre vor Verfolgung zu schützen, unterhielten sich schwule Männer in der Geheimsprache Polari.
  • Nach 1967 war Polari im Kampf um gesellschaftliche Anerkennung unter Homosexuellen verpönt.
  • Heute wird Polari wieder populärer.

Hört man nur flüchtig hin, dann klingt es, als unterhalten die beiden Männer auf der Parkbank sich in «British English». Doch wer der Unterhaltung im Kurzfilm «Putting on the Dish» (2015) folgt, stolpert bald über unverständliche Sätze wie: «Got three drags and a spit, doll

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«Putting on the Dish»
Aus Kultur Extras vom 12.09.2016.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 17 Sekunden.

Der eine Mann fragt damit sein unbekanntes Gegenüber nach einer Zigarette. Und tastet mit dieser Formulierung gleichzeitig ab, ob sie die gleiche Sprache sprechen. Denn die beiden Männer begegnen sich 1962 in einem Londoner Park.

Wer damals offen über seine Homosexualität sprach, dem drohte nicht nur der soziale Ausschluss, sondern auch die Verfolgung durch die Behörden. Um trotzdem ins Gespräch zu kommen, behalfen schwule Briten sich mit einem Trick. Wie die beiden Männer im Film unterhielten sie sich in Polari.

Befreiung von Tabus

Polari ist abgeleitet vom italienischen «parlare». Damit bezeichnet wird ein Sammelsurium an rund 500 Codewörtern. Die Grammatik folgt dem Englischen. Viele Polari-Wörter sind jedoch abgeleitet von italienischen Begriffen, wie «bona» für gut oder «fantabulosa» für fantastisch.

Der Wortschatz setzt sich ausserdem aus dem Slang von Matrosen und Gaunern, aus Cockney, Jiddisch oder Roma-Sprachen zusammen. Populär war auch «Back Slang», das Umdrehen von Silben (hair = riah), sowie das Verkleinern von Begriffen und das Versehen mit femininen Endungen (drink = drinkette).

Polari war die Sprache der Befreiung von Tabus: unverblümt, exklusiv und explizit. Besonders viele Begriffe umschreiben männliche Äusserlichkeiten, sind Euphemismen für sexuelle Praktiken – oder für die Polizei.

Vom Theater in die Pubs

Vielleicht waren es britische Matrosen, wahrscheinlich aber Schausteller aus Italien, die Polari zusammen mit ihren Kasperletheater und Drehorgeln im 19. Jahrhundert nach London brachten.

In den 1930er-Jahren wurde Polari vorwiegend von Theater- und Zirkusleuten gesprochen – und fand in den 1950er- und 1960er-Jahren Zugang zu den Pubs der Stadt, in denen viele Schwule verkehrten.

Bekannt gemacht hat Polari eine Comedy-Show der BBC. Jeden Sonntagnachmittag zwischen 1965 und 1968 hörten rund 9 Millionen Briten «Round The Horne» mit Julian und Sandy. Die beiden Charaktere unterhielten sich hochgradig stereotyp in Polari.

Selbstparodie als Waffe

«Camp»: Dieses Polariwort bezeichnete solches überspitztes, effeminiertes Auftreten von Schwulen. In Polari inszenierten schwule Männer sich selbst gerne als «camp». Sie machten die Übertreibung und Selbstparodie bewusst zu ihrer Waffe gegen schwulenfeindliche Klischees.

Das ist auch der Grund, weshalb Polari in den 1970er-Jahren rasch verschwand. Nachdem Homosexuelle 1967 in Grossbritannien erste Rechte erhalten hatten, war die Heimlichkeit schlicht nicht mehr notwendig. Gleichzeitig kämpften Homosexuelle um Anerkennung. Was an homophobe Stereotypen erinnerte, warf man über Bord – so auch die Sprache Polari.

Alte Geheimsprache, neu belebt

Heute haben bloss einige Begriffe den Sprung ins Standardenglisch geschafft: Etwa «Drag» oder «Butch», das Aneignen von traditionellen Kleidungsstilen des anderen Geschlechts.

Doch in jüngster Zeit taucht Polari wieder vermehrt auf: Seit 2013 kann ein Polarilexikon als App heruntergeladen werden und sogar die Bibel wurde in Polari übersetzt. Letztes Jahr stiess der Polari-Kurzfilm «Putting on the Dish» online und an Filmfestivals auf grosse Resonanz.

Und dieses Jahr findet sich auf David Bowies letztem Album der Song «Girl Loves Me»: Geschrieben in Polari – und in Nadsat, dem fiktiven Jargon aus «A Clockwork Orange» von Anthony Burgess.

Ein Echo auf den Philippinen

Ein weiteres Echo findet das britische Polari heute am anderen Ende der Welt: Unter jungen, schwulen Filipinos boomt eine sehr ähnliche Geheimsprache.

Swardspeak, oder Gay-Lingo, ist eine Mischung aus Tagalog und Englisch, in die spanische und japanische Begriffe und die Namen von Promis eingeflochten sind. Ein Jargon, der unterdessen auch von vielen heterosexuellen Teenies gesprochen wird, die sich damit von ihrem wertkonservativen Umfeld abgrenzen.

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