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Gesellschaft & Religion Fremdsprachen: «Je früher, desto besser» – stimmt das?

Der Sprachenstreit in der Schweiz flammt wieder auf: Neue Studien weisen darauf hin, dass es zwischen einem frühen Fremdsprachenunterricht und der späteren Sprachkompetenz keinen Zusammenhang gibt. Das heizt die Debatte erst recht an.

Beim Thema Schule werden die Diskussionen schnell emotional. Erst recht, wenn es um ein ganz bestimmtes Fach geht: Französisch. Wer erinnert sich nicht an seine ersten Französischlehrmittel mit so verheissungsvollen Titeln wie «Pas à pas», «Bonne chance» oder «La belle aventure»?

Viele von uns erinnern sich auch an die ersten Sätze auf Französisch. Sie kamen einfach daher, waren aber schwer auszusprechen – wie zum Beispiel «Jean mange une orange».

Eine Journalisten-Kollegin hat den ersten Französischunterricht noch vor ihrem inneren Auge, als wäre er gestern gewesen.

«Es begann sehr schlecht mit einer sehr strengen Lehrerin. Immer wenn wir das stimmhafte ‹Sch› stimmlos aussprachen, kostete es 10 Rappen. Die mussten wir dann ins ‹Missionsnegerli› einwerfen, und das Sackgeld floss dahin.»

Schlechte Erinnerungen

Auch Lehrmittel wie «Parlons français», die Französisch als eine leichte Selbstverständlichkeit suggerieren, garantieren keinen Erfolg, wie ein SRF-Tontechniker festhält.

«Noch heute muss ich die Vokabeln in meinem Kopf richtig zusammenkratzen, um einen einigermassen geraden Satz herauszubringen. Und das, obwohl ich mehrere Jahre Französischunterricht hatte und nur 20 Kilometer von der Sprachgrenze entfernt aufgewachsen bin.»

Ob das Interesse an Französisch geweckt werden kann, hängt sehr stark von der Lehrperson ab. Dies eine Erkenntnis der Forschung zum Fremdsprachenunterricht, die einleuchtet.

Ein Redaktor hier im Hause erinnert sich: «Unsere Lehrerin war sehr jung, sehr streng und kam aus Lausanne. Mir hat das sehr gefallen. ‹Où est la clé de Lucette? Voilà la clé de Lucette!› Das waren Sätze, die zunächst nicht sehr viel weiterhalfen, aber Marie-Louise Seiler, unsere Lehrerin, hat viel von uns verlangt. Und so machte ich auch schnell Fortschritte.»

Passepartout noch nicht gefunden

Doch der ideale Schlüssel für das Französischlernen in der Schweiz lässt noch auf sich warten. Seit Jahren wird in der Bildungspolitik darüber gestritten, wie der Fremdsprachenunterricht im Land organisiert werden soll, damit die Fremdsprachen für möglichst viele Schülerinnen und Schüler dereinst zu einem Passepartout werden, mit dem sie über den «Röschtigraben» hinweg Kontakte knüpfen und Türen öffnen können.

In dieser Debatte wird immer deutlicher, dass sich pädagogische, sprachwissenschaftliche und bildungspolitische Vorgaben in die Quere kommen. So gingen in den letzten Jahren die Bemühungen der Bildungsbehörden von einer bestimmten Prämisse aus: Je jünger man ist, desto leichter lässt sich eine Fremdsprache lernen.

Unbequeme Erkenntnisse

Neue sprachwissenschaftliche Studien widerlegen nun diese Annahme. Raphael Berthele, Professor für Mehrsprachigkeit an der Universität Freiburg, und die Linguistin Simone Pfenninger von der Universität Zürich kommen vielmehr zum Schluss, dass der frühe Fremdsprachenunterricht für die spätere Sprachkompetenz unbedeutend sei.

Wer erst später mit einer Fremdsprache beginnt, hole einen anfänglichen Rückstand sehr schnell auf. Entscheidend sei die Intensität, mit der sich Schülerinnen und Schüler mit der Sprache befassen. Und auch, ob die Lehrpersonen selbst einen neugierigen und engagierten Umgang mit der Sprache pflegen.

«Kurzfutterkonzept»

Zwei Wochenstunden Fremdsprachenunterricht in der Primarschule würden nichts bringen. Dabei handle es sich um ein «Kurzfutterkonzept», sagte die Linguistin Simone Pfenninger kürzlich gegenüber der «NZZ am Sonntag».

Solche Aussagen hört man bei den Bildungsverantwortlichen nicht gern. Sie halten an der landläufigen Position fest. So lässt Christoph Eymann, Präsident der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), in der «Basler Zeitung» verlauten, dass aus Pfenningers Studie «keine Erkenntnisse für die aktuelle Diskussion» abgeleitet werden könnten.

Und Monika Maire-Hefti, Neuenburger Bildungsdirektorin und EDK-Präsidentin der Westschweizer Kantone, sagt in der Sendung «Kontext», sie glaube nach wie vor, dass «je früher, desto besser» sei.

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