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Gesellschaft & Religion Gastarbeiter in der DDR: Eine kuriose wie bittere Geschichte

Auch in der DDR gab es Fremdarbeiter. Sie kamen aus sozialistischen Bruderstaaten der Dritten Welt. Zwischen 1979 und 1989 lebten 20'000 Moçambiquaner – unter zum Teil kuriosen Lebensbedingungen – in der DDR. In ihrer preisgekrönten Graphic Novel «Madgermanes» rollt Birgit Weyhe ihre Geschichte auf.

Man versprach ihnen eine Ausbildung – sie erhielten nur Hilfsjobs, nach 17 Uhr mussten sie in ihren Wohnheimen bleiben, schwangere Frauen mussten abtreiben oder wurden zurückgeschickt, und die Hälfte ihres Lohns wurde nach Moçambique überwiesen, um ihre spätere Rückkehr in die Heimat sicherzustellen. So lebten in den 1980er Jahren die rund 20'000 «Madgermanes» genannten moçambiquanischen Vertragsarbeiter im sozialistischen Bruderland DDR.

«Alle sind mit der Verheissung aufgebrochen, dass sie ins Paradies kommen und etwas lernen, und komischerweise sind alle im Winter angekommen», sagt Birgit Weyhe, eine 1969 geborene deutsche Comic-Autorin, die in Afrika aufgewachsen ist und erst mit 19 nach Deutschland zurückkehrte. Deshalb kann sie die ersten Eindrücke der Moçambiquaner bestens nachvollziehen: «Alles war grau und kalt, und die Deutschen waren verschlossen. Sie wollten sofort wieder zurück, doch hatten sie für vier Jahre unterschrieben und würden Jobs machen, die sie gar nicht wollten.»

José, Basilio und Anabella

Es ist ein eigenartiges Kapitel aus der Geschichte der untergehenden DDR, das Birgit Weyhe in «Madgermanes» aufrollt, und wie in vielen DDR-Geschichten liegen Tragik und Absurdität nahe beieinander.

Buchhinweis

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Birgit Weyhe: «Madgermans», Avant Verlag Berlin, 2016

Birgit Weyhe führte Interviews mit vielen Betroffenen in Moçambique und Deutschland und verdichtete diese Lebensgeschichten zu drei exemplarischen Biographien: José ist ein Kommunist und Romantiker, der an eine bessere Zukunft als Ingenieur glaubt; der Lebemann Basilio interessiert sich mehr für deutsche Frauen, als sein berufliches Fortkommen, und Anabella schafft es dank Intelligenz und Durchhaltevermögen, Medizin zu studieren und lebt heute als Ärztin in Deutschland. Diese drei differenziert gezeichneten Figuren sind wiederum miteinander verbunden: José und Basilio hausten im gleichen Wohnheim, und Anabella war Josés Freundin, bis sie schwanger wurde und heimlich abtrieb, um in der DDR bleiben zu können.

In «Madgermanes» erzählt Birgit Weyhe dieselbe Geschichte aus drei unterschiedlichen Perspektiven und umkreist damit Themen wie Entfremdung, Heimat- und Perspektivlosigkeit, Integration und Ausgrenzung. «Was ist Heimat?» so bringt Birgit Weyhe ihr auch durch die eigene Biographie geschärftes Interesse für diesen Stoff auf den Punkt, «was prägt uns und wie kommen wir mit den Erfahrungen zurecht, wenn wir uns in verschiedenen Kulturkreisen zu integrieren versuchen»?

Allegorische Motive

Birgit Weyhe erzählt diese dramatische Geschichte mit Schwung, Humor und feinem Sinn für die kleinen und grossen Absurditäten im DDR-Alltag. Zum lebendigen Eindruck trägt Weyhes Bildsprache bei: Ihre schwarz-weissen, mit einem warmen Goldton vertieften Zeichnungen muten vordergründig naiv an, und immer wieder überhöht Weyhe die Realität durch die Vermischung allegorisch-ornamentaler Motive aus beiden Kulturen. So wird «Madgermanes» auch graphisch zu einer Reflektion rund um das Thema Heimat und Zugehörigkeit.

Es überrascht nicht, dass diese eindringliche und dichte Graphic Novel am Internationalen Comic-Salon von Erlangen die höchste Auszeichnung erhielt, den Max-und-Moritz-Preis für den besten deutschsprachigen Comic.

Von Anfang an belogen

Das Bittere an der Episode mit den Gastarbeitern in der DDR war, das spürte Birgit Weyhe in den meisten Interviews heraus, «dass den moçambiquanischen Vertragsarbeitern nie die Wahrheit gesagt wurde, es gab nur Lügen». Das gipfelte bei ihrer Rückkehr. Das Geld, mit dem sie sich eine neue Existenz aufbauen wollten, war verschwunden.

Sendung: Radio SRF Podcast, Kultur kompakt, 13.06.2016, 17:06 Uhr

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