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Gesellschaft & Religion «Ich bin ein Kuckuckskind»

«Wer bin ich und woher komme ich?» Viele stellen sich diese Frage irgendwann. Einfache Antworten darauf gibt es selten – besonders dann, wenn man nicht einmal weiss, ob der soziale Vater auch der biologische Vater ist. Das erfuhr DOK-Filmerin Andrea Pfalzgraf in Gesprächen mit Betroffenen.

«Kuckuckskind» – nicht gerade eine erstrebenswerte Bezeichnung. Aber so nennt man die Kinder von Frauen, die von einem anderen Mann schwanger geworden sind und es dem Partner nicht sagen, ihm das Kind also unterjubeln. Der ahnungslose Mann zieht ein Kind auf, welches die Gene eines anderen in sich trägt.

Das kommt häufiger vor als man denkt. Es ist ein Geheimnis, welches die Mütter in der Regel für sich behalten. Sie wollen die Familie nicht zerstören, und es ist ihnen natürlich peinlich.

Ein Kuckuckskind in jeder Schulklasse

In der Schweiz geht man davon aus, dass in jeder Schulklasse ein Kuckuckskind sitzt. Darüber reden will kaum jemand. Verständlich, ist es doch keine angenehme Situation. Aber das Schweigen kann fatale Folgen haben. Für die Väter, für die Mütter, vor allem aber für die Kinder.

Porträt von A.S.
Legende: A.S. ist selbst ein «heimliches Kind». Um die Wahrheit zu erfahren, musste sie lange kämpfen. SRF

A.S. ist ein Kuckuckskind. Viele Jahre hatte ihre Mutter ein Verhältnis mit einem Priester, einem Freund der Familie. Als sie von ihm schwanger wurde, taten die Eltern so, als sei es ein weiteres Kind des Ehemannes. Mit diesem hatte die Mutter schon fünf Kinder. Das Mädchen wuchs heran und hatte schon früh das Gefühl, dass es irgendwie nicht in die Familie passte. A.S. belasteten diese Gefühle und sie dachte «mit mir stimmt etwas nicht». Und manchmal auch «vielleicht bin ich das Kind von einem anderen». Aber das laut zu fragen, traute sie sich nicht. Das tut man ja auch nicht: die Eltern in Frage stellen. Und was, wenn der Verdacht nicht stimmt?

Suche auf der falschen Fährte

Es folgten im Erwachsenenalter eine Reihe von mehr oder weniger erfolglosen Psychotherapien. Kein Wunder, es war eine Suche auf der falschen Fährte. Kurz vor dem Tod des sozialen Vaters wagte sie endlich die Mutter zu fragen und bekam keine Antwort. Aber sie liess nicht locker. Ein Gentest brachte schliesslich die Wahrheit an den Tag. Der Pfarrer ist ihr Vater. «Ich hätte mir gewünscht, dass es anders wäre. Gleichzeigt bin ich wahnsinnig erleichtert endlich zu wissen, von wem ich stamme». A.S. geht es seither viel besser.

Zur Person

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Andrea Pfalzgraf arbeitet seit 1995 beim SRF, erst bei «10vor10» und «Quer», seit 2009 ist sie im «DOK»- und «Reporter»-Team. Sie studierte Sozialpädagogik/Sozialarbeit an der Fachhochschule Luzern sowie Journalismus an der Journalistenschule St. Gallen. Anschliessend publizierte sie als freie Printjournalistin für verschiedene Schweizer Medien.

Darum hat sie sich entschieden bei dem Dokumentarfilm «Kuckuckskinder» von Andrea Pfalzgraf mitzumachen. Es sei für sie nicht so wichtig, wer nun der biologische Vater sei. Schliesslich habe ihr sozialer Vater sie gut begleitet. Das zähle. «Aber ich hätte es gerne gewusst. Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht. Die Wahrheit über meine Herkunft hätte mir viel Leid erspart und meiner Mutter wahrscheinlich auch». Sie musste ja mit dem Geheimnis leben. Das müsse doch der Horror gewesen sein, sagt A.S. Leider ist es zu spät für Fragen. Die beiden Männer sind gestorben, die Mutter ist dement und nicht mehr in der Lage darüber zu reden.

Reden über die «heimlichen Kinder»

A.S. hat sich für den Schritt an die Öffentlichkeit entschieden, weil sie möchte, dass man über die «heimlichen Kinder», wie sie diese lieber nennt, redet. Denn das Thema ist nach wie vor ein Tabu. Viele wissen von einem Fall im Bekanntenkreis, aber immer ist alles geheimnisumwittert und soll ja nicht weitererzählt werden.

Das habe ich bei meinen Recherchen schnell gemerkt. Darum habe ich den Film gemacht. Damit so vielleicht längst anstehende Gespräche in Gang kommen und die Kinder nicht mehr das Gefühl haben müssen, mit ihnen stimme etwas nicht. Es sind die Eltern, bei denen «etwas nicht stimmt».

Darum sollten auch die Eltern ihre Probleme lösen und nicht die Kinder damit belasten. Denn für die Kinder zählt nicht in erster Linie, welche Gene sie in sich tragen. Das Wichtigste ist für die Kinder eine verlässliche Beziehung zu Menschen, die sie nicht anlügen.

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