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Gesellschaft & Religion «Ich bin raus»: Wie wir uns von den Fesseln der Arbeit befreien

Wer hat nicht schon einmal daran gedacht, seinen Job zu kündigen und ganz anders zu leben? Robert Wringham hat genau das getan. Statt wie die meisten Menschen zig Stunden mit Arbeit zu verbringen und dennoch verschuldet zu sein, plädiert der Brite im Buch «Ich bin raus» für lustvollen Minimalismus.

Robert Wringham erinnert sich noch gut daran, wie seine Mutter ihm als kleinen Jungen erklärte, dass man arbeiten müsse, um Essen und Wohnung zu bezahlen. Und er antwortete: «Dann will ich keine Wohnung haben.»

Inzwischen ist er 33 und lebt seit zehn Jahren – nicht auf der Strasse, sondern als moderner «Entfesselungskünstler».

Der Autor

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Legende: Stuart Crawford Photography

Robert Wringham lebt als Schriftsteller und Schauspieler in Glasgow und Montreal. Er gibt die Zeitschrift «New Escapologist» heraus. Daneben schreibt er für verschiedene Magazine satirische und essayistische Artikel.

Houdini sprengte die Fesseln des Konsums

Sein Vorbild ist Harry Houdini, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit seinen magischen Performances Millionen von Menschen faszinierte. Nicht nur, meint Wringham, weil er die Kunst der Entfesselung beherrschte, sondern auch, weil diese Fertigkeit etwas symbolisierte: die Befreiung von den Fesseln der aufkommenden Konsumgesellschaft. Zu dieser gesellte sich bereits damals eine rasante technologische Beschleunigung.

Wenig Zeit für echte Freude

Die Fesseln, aus denen es sich heutzutage zu befreien gilt, sind nach Wringhams Ansicht vor allem zwei Dinge: Lohnarbeit und Konsum. Die beiden Götzen der westlichen Welt.

Denn, so der Autor: Wenn man Arbeitszeit, Konsumzeit und Schlafzeit abrechne – wie viel Zeit bleibt dann noch, um wirkliche Freude zu empfinden? Und um über uns nachzudenken? Wann dürfen wir lesen, ausschlafen, unsere Freunde treffen oder uns lieben?

Ein Forum für die Flucht aus der Falle

In seinem Buch analysiert Robert Wringham die Mechanismen der, wie er es nennt, «Arbeits-Konsum-Falle» und zeigt mögliche Fluchtwege auf – mit viel oder ohne viel Geld. Er selbst verbannte vor zehn Jahren als erstes Auto, Fernsehapparat und Mobiltelefon aus seinem Leben, um Geld für einen «Flucht-Fonds» anzusparen.

Buchhinweis

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Robert Wringham: «Ich bin raus. Wege aus der Arbeit, dem Konsum und der Verzweiflung». Aus dem Englischen von Ronald Gutberlet. Heyne Encore, 2016.

Dann kündigte er seinen Bürojob. Ein halbes Jahr später startete er sein Magazin «The New Escapologist» – als Forum für die internationale Gemeinde der «Neuen Entfesselungskünstler».

Das Spiel zu seinen Gunsten wenden

Die Lösung sei, das Spiel nicht mehr mitzuspielen, meint Wringham: «Wenn ein Nachbar sich einen fetten Porsche kauft, kann man sagen: ‹Ich lege mir ein verrostetes Fahrrad zu – und das ist dann mein Statussymbol›.»

Mit etwas Glück machten die anderen Leute es einem nach – und alle werden entfesselt.

Robert Wringham diskutiert die uralte philosophische Frage «Wie sollen wir leben?» in Bezug auf unsere gegenwärtige Wirklichkeit. Dabei bleibt er realistisch: Nicht jeder will und kann aussteigen oder auf Teilzeit, Jobsharing oder Zeitarbeit umsteigen.

Was aber jeder tun könne, schreibt er, sei: die Lebenshaltungskosten senken und weniger materiellen Besitz anhäufen.

Weniger Stress durch Konsumverzicht

Jeder Gegenstand, den man besitze, bedeute eine Verantwortung. Wringhams Rat: «Schaffen Sie sich weniger an! Dann haben Sie weniger Verantwortung und auch weniger Stress.»

Sogar mit Kindern könnte man sich entfesseln, meint der Autor, wenn man wirklich wolle – müsste dann allerdings mit höheren Ausgaben und mit Einschränkungen durch die Schulpflicht rechnen.

Anders als der Titel seines Buchs «Ich bin raus» vermuten liesse, propagiert Wringham nicht, einfach nicht mehr zu arbeiten, sondern das zu tun, was Befriedigung verschafft. Ein Buch für alle, die schon einmal ans Aussteigen gedacht haben.

Und für alle anderen? Erst recht.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 29.08.2016, 16.50 Uhr

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