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Gesellschaft & Religion Pussy Riot war nur der Anfang – Russland unterdrückt Künstler

Mit einem repressiven Kurs gegen zeitgenössische Künstler stellt sich Moskau der Moderne in den Weg. Kritische Stimmen werden von grossrussischer Propaganda erstickt. Das Kulturministerium gab den Slogan heraus: «Russland ist nicht Europa», da gebe es nur «Pseudokunst».

Zar Alexander III. hatte es Ende des 19. Jahrhunderts so formuliert: «Russland hat auf der ganzen Welt nur zwei wahre Verbündete – unsere Armee und unsere Flotte.» Inzwischen ist als dritter Alliierter noch Gazprom hinzugekommen, aber im Kern gilt das Misstrauen bis heute. Russland baut allein auf seine eigene Stärke mit einer national konservativen Kultur. Nischenerlaubnis? Njet, nein, nitschewo.

Wladimir Putin vor roter Wand mit der Aufschrift «Russia».
Legende: Kulturell zählt nunmehr auch nur noch Russland, liess das Kultusministerium verlauten. Keystone

Das Kulturministerium gab unlängst ein Manifest heraus, das den Kurs künftiger Kulturpolitik festlegen soll. In der Kernthese «Russland ist nicht Europa» zeigt sich Moskaus Hang zur Selbstisolation. Der Kreml rüstet sich für einen Kampf der Kulturen zwischen Ost und West.

Kultur auf nationalem Konfrontationskurs

Die slawophile, aus dem 19. Jahrhundert stammende Verortung der Kultur setzt auf Konfrontation. Neoimperiale Rhetorik schwört Künstler, Regisseure und Schriftsteller auf Grösse ein, auf eine «kulturelle und geistige Einheit», die sich zu einer nationalen «Bewegung nach vorn» formieren soll. Künstler und Intellektuelle sollen Hand in Hand an einer spezifisch russischen Gesamtharmonie mitwirken – fern aller westlichen «Pseudokunst».

Frühere Sendungen

Box aufklappen Box zuklappen

«Russische Band in U-Haft» aus 10vor10 vom 24.4.2012

«Mit Witz und Mut gegen Putin» aus Kulturplatz vom 15.8.2012

«Zweimal Strafe, einmal Freiheit» aus 10vor10 vom 10.10.2012

«Pussy Riot bleiben auf Konfrontationskurs» aus Tagesschau vom 27.12.2013

«Pussy Riot verprügelt (unkommentiert)» aus News-Clip vom 19.2.2014

Wer da nicht mitmachen will, muss mit harten Konsequenzen rechnen. Wegen seiner Kritik an der Annexion der Krim verlor der renommierte und international geachtete Architekturkritiker Grigorij Rewsin unlängst seinen Posten als Kurator des russischen Pavillons auf der Architektur Biennale in Venedig. Der Philosophieprofessor Andrej Subow musste wegen seiner kritischen Anmerkungen zur Krim-Annexion seinen Lehrstuhl am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen aufgeben. Die Begründung: Subows Ansichten gefährdeten den Lernbetrieb.

Die Nichteinverstandenen

Auch Schriftsteller bekommen es mit der russischen Reaktion zu tun. Der Kultautor und Russlands erster literarischer Provokateur Wladimir Sorokin zog es zwischenzeitlich vor, in Berlin zu leben – zuhause sah er sich wütenden Drohungen ausgesetzt.

Der Schriftsteller Sergej Lebedew, dessen Romandebüt «Der Himmel auf ihren Schultern» weltweit Beachtung fand, stösst mit seinem neuen Manuskript über die Putin-Ära bei allen russischen Verlagen auf verschlossene Türen.

Portrait Sergej Lebedew
Legende: Der international bekannte Autor Sergej Lebedew findet für sein neues Buch in Russland keinen Verlag. ZVG / S. Fischer Verlag

Dabei gibt es keine offizielle Zensur; das Diktat in ästhetischen Fragen ist vielmehr die Begleiterscheinung einer Politik, die auf Nationalismus setzt, Patriotismus fördert, die Orthodoxie hofiert und alles Andersartige moralisch abwertet.

Plötzlich wieder Feindesland

Höhepunkt der Kampagnen war dabei unlängst ein sieben Meter grosses Plakat an der Fassade von Moskaus grösster Buchhandlung am Arbat, gegenüber des kreml-kritischen Senders «Echo Moskwe». Es zeigte zwei Ausserirdische mit schwarzen Koffern, die fünf Personen Geld zustecken wollten.

Die Diffamierungsaktion zielte auf die Rockmusiker Jurij Schewtschuk und Andrej Makarewitsch sowie auf die die Oppositionspolitiker Aleksej Nawalnyj, Boris Nemzow und Ilja Ponomarjow. Die Unterschrift lautete: «Die fünfte Kolonne. Fremde mitten unter uns.» Paranoia wie zu Zeiten Stalins, die Russland tatsächlich weit von Europa fortdriften lässt.

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