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Frieden und Versöhnung im Namen Gottes?
Aus Sternstunde Religion vom 05.05.2016.
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Gesellschaft & Religion Religionen schaffen Frieden

Religion sei ein Brandbeschleuniger für Konflikte, ohne sie wäre die Welt friedlicher und besser – das besagt eine weitverbreitete Meinung. Der Konflikt- und Friedensforscher Markus Weingardt sieht das anders. Er nennt Beispiele, in denen Religionen zu Frieden verhalfen.

Als am 6. April der ruandische Präsident Juvénal Habyarimana bei einem von zwei Raketen ausgelösten Flugzeugabsturz ums Leben kommt, eskaliert die Situation zwischen den beiden verfeindeten ethnischen Gruppen Ruandas. Die Hutu – welche 85 Prozent der Bevölkerung ausmachen – bezichtigen die Tutsi, den Präsidenten ermordet zu haben. Sie beginnen, diese vermeintliche Tat zu rächen. Die Folge ist ein landesweites Morden.

100 Tage – vom 6. April bis zum 15. Juli 1994 – dauert der Genozid an den Tutsi. Rund eine Million Menschen verlieren in dieser Zeit im kleinen ostafrikanischen Ruanda auf grausame Weise ihr Leben. Christen ermorden Christen. Es herrscht ein Krieg zwischen Nachbarn, einstigen Freunden und sogar unter Familienmitgliedern.

Zur Person

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Legende: zvg

Markus Weingardt, geboren 1969, ist Politikwissenschaftler sowie Friedens- und Konfliktforscher. Er ist zudem Mitglied der von Hans Küng gegründeten Stiftung Weltethos.

Hilfe als religiöse Pflicht

Doch mitten in diesem Drama gibt es einen Schimmer Hoffnung: die ruandischen Muslime. Sie opponieren gegen die tutsifeindliche Propaganda der Hutu und helfen den Opfern – unter Berufung auf den Koran. Markus Weingardt hat über diese Ereignisse geforscht und beschreibt sie in seinem 2014 erschienenen Buch «Was Frieden schafft. Religiöse Friedensarbeit.»

Von der konstruktiven Rolle der Muslime in jenen 100 Tagen wissen nur wenige. Da Muslime nicht Teil des Konfliktes sind, setzen deren Religionsführer umgehend Programme zur Sensibilisierung ihrer Glaubensgemeinschaft auf. Dazu schreibt Weingardt: «Auf der Basis des Koran lehren sie, dass Ethnizität nicht entzweien dürfe, dass vielmehr alle Menschen gleich seien und niemand das Recht habe, einen anderen zu töten.»

Jeder Muslim habe die Pflicht, sich für die Opfer, gleich welcher religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit, einzusetzen und die Polarisierung nicht zu dulden. Aufgrund dieser Sensibilisierung werden Moscheen und Häuser von vielen Muslimen für zahllose Tutsi und Oppositionelle zu lebensrettenden Zufluchtsorten. Flüchtende erhalten Nahrung und werden von mutigen ortsansässigen Muslimen versteckt. Nicht selten lassen die Helfer aufgrund ihres Einsatzes sogar ihr eigenes Leben.

Hilfe mit religiösen Wurzeln

Diese Erfolgsgeschichte von religiöser Sensibilisierung und Mobilisierung ist kein Einzelfall. Markus Weingardts Buch berichtet von Fällen, die die gängigen Vorurteile von Religion als Konfliktherd durchbrechen und Hoffnung schaffen. Er nennt zum Beispiel die 1988 gegründete Organisation «Rabbiner für Menschenrechte», welche sich im beinahe aussichtlosen Nahostkonflikt für die Menschenrechte der Palästinenser sowie nichtjüdischer Immigranten einsetzt. Egal welcher Herkunft oder Religion, welchen Geschlechts oder Status, die «Rabbiner für Menschenrechte» setzen sich für die Menschen und gegen staatliches Unrecht ein und berufen sich dabei stets auf ihre religiösen Wurzeln und Werte.

Buchhinweis

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Markus A. Weingardt: «Was Frieden schafft. Religiöse Friedensarbeit. Akteure, Beispiele, Methoden». Gütersloher Verlagshaus, 2014.

Beachtenswert ist auch Weingardts Schilderung eines buddhistischen Friedensmarsches in Kambodscha, 1992 initiiert und viele Jahre vom buddhistischen Mönch Maha Ghosananda angeführt. Bewusst pilgert Maha Ghosananda mit allen, die sich ihm anschliessen wollen, durch kambodschanische Krisenregionen und Kampfgebiete der Roten Khmer. Er spendet den Menschen Segen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer religiösen Überzeugung oder ihrer Taten. Versöhnung ist mit allen und zu jeder Zeit möglich und nötig, so seine Botschaft.

Maha Ghosandas Engagement löste viele Initiativen zur Versöhnung aus, welche in einem zerrissenen und von der schrecklichen Vergangenheit gezeichneten Land wie Kambodscha bitter nötig sind.

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