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Gesellschaft & Religion Totale Überwachung – oder: Wie sicher muss die Schweiz werden?

Wird das neue Nachrichtendienstgesetz angenommen, kann der Schweizer Geheimdienst in Zukunft viel umfassender als heute Personen überwachen. Die Meinungen sind geteilt: Bringt das Nachrichtengesetz mehr Sicherheit für die Schweiz oder steht es für die totale Überwachung?

Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, Kabelaufklärung, Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner, Verwanzung von Privaträumen, Überwachung von Personen auch in nicht öffentlichen Räumen: Der Artikel 25 des Nachrichtendienstgesetzes (NDG) listet neue «genehmigungspflichtige Massnahmen» auf.

Bisher waren diese dem Schweizer Geheimdienst, dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB), nicht erlaubt. Neu hätte er sogar die Möglichkeit, einen Cyberwar zu führen. Die eidgenössischen Räte beraten sich in ihrer Frühjahrssession über das neue Nachrichtendienstgesetz.

Informationen vor einer Straftat beschaffen

Ziel des Gesetzes ist es, Gefahren für Staat, Wirtschaft und Bevölkerung abzuwenden, insbesondere von Spionage und Terrorismus. Und es soll die schweizerische Rechtsordnung sowie die wichtigen Infrastrukturen schützen. In präventiver Weise. Der Nachrichtendienst darf also Informationen beschaffen, bevor eine Straftat begangen wird. Zudem kommt mit der Revision des BüPF, des «Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs», in der Frühjahrssession eine Vorlage in die Räte, die die Überwachung in Strafverfahren ausbauen soll.

Die Schweizer Sicherheitsarchitektur soll «modernisiert» werden, sagt Nationalrätin Corina Eichenberger (FDP, AG). Sie hat am Nachrichtendienstgesetz mitgearbeitet und an der Kontrolle des Nachrichtendienstes des Bundes mitwirkt. Es könne nicht sein, dass Kriminelle bessere technische Möglichkeiten hätten als die Behörden.

Kontrolle ist das Zauberwort

Ähnliches sagt Nationalrat Daniel Jositsch (SP, ZH). Er stehe selten so klar hinter einer Vorlage wie jetzt hinter dem Nachrichtendienstgesetz. Denn es sei «mit Augenmass» erarbeitet worden und die Balance sei gewahrt zwischen den neuen Möglichkeiten für den Staatsschutz und der parlamentarischen Kontrolle des Geheimdiensts.

Kontrolle ist das Zauberwort, das die Befürworter des Gesetzes hervorheben. Kontrolle des Nachrichtendienstes, damit sich die Auswüchse des Fichenskandals von 1989 nicht wiederholten. Ein dreistufiges Genehmigungsverfahren für die «genehmigungspflichtigen Massnahmen» soll Missbräuche verhindern. Mit einem «kaskadenartigen» (Corina Eichenberger) Kontrollsystem wollen Bundesrat und die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments die Tätigkeit des Nachrichtendienstes überprüfen.

Insbesondere die Datensicherheit ist ein Problem. Das Gesetz sieht nämlich den Datenaustausch mit in- und ausländischen Organen zur «Wahrung sicherheitspolizeilicher Aufgaben» vor. Übrigens ohne, dass das Gesetz präzisiert, mit welcher Art von Staat der Nachrichtendienst Informationen austauschen will. Auch mit Ländern, die sich nicht um die Menschenrechte scheren?

Ein neues staatsschützerisches Arsenal

Kritik kommt besonders bei der «Kabelaufklärung» auf: Das Gesetz will dem Nachrichtendienst ermöglichen, alle über Kabel ins Ausland oder vom Ausland in die Schweiz gesendeten Daten zu überwachen. Das betrifft schlicht den gesamten Internetverkehr – und reisst allenfalls IT-Sicherheitslücken auf. Wie die geplanten Staatstrojaner.

Auch der Lauschangriff, die Möglichkeit Privaträume und -telefone zu verwanzen, ist umstritten. «Das geht zu weit», sagt Nationalrat Daniel Vischer (GP, ZH). Die aktuellen Instrumente des Strafgesetzbuchs, der Strafprozessordnung und des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) reichen zur Abwehr von Spionage und Terrorismus, sagt Vischer. Denn Vorbereitungshandlungen für Straftaten sind bereits heute belangbar.

Werden die Menschenrechte verletzt?

Auch Rechtsanwalt Martin Steiger von der «Digitalen Gesellschaft», einer Vereinigung von Personen und Organisationen, die sich für ein freies Internet einsetzen, sagt, es handle sich bei der Prävention von Straftaten um eine klassische Polizeiaufgabe. Laut Steiger verletzt das Gesetz Menschenrechte, besonders das Recht auf Privatsphäre, auf Meinungsäusserungsfreiheit und das Recht auf ein faires Verfahren. Denn was man kontrolliert, überwacht und observiert, wird verdeckt. Der Nachrichtendienst kann auch nach Abschluss einer Massnahme darauf verzichten, überwachte Personen zu informieren.

Das Parlament diskutiert das Nachrichtendienstgesetz in seiner Frühjahrssession. Nach den Terroranschlägen von Paris wird die Ratsdebatte die Vorlage kaum beschneiden. Der Nachrichtendienst dürfte die ausgebauten Möglichkeiten zur Überwachung verdächtiger Aktivitäten bekommen.

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