Zahra Öğretmen (Name geändert) kommt gerade aus der Schule, als wir uns zum Gespräch treffen. Die junge Frau Mitte 20 hat ihr Kopftuch modisch zu einem «Bonnet» gebunden und erzählt begeistert vom ersten Treffen mit den Kindern. In wenigen Tagen beginnt ihr Praktikum in einer vierten Primarschulklasse, heute war Kennenlerntag.
Meine Kompetenz sollte im Vordergrund stehen, nicht meine Kleidung.
Ihr Kopftuch ist bei den Kindern kein Thema. «Ich habe es erst einmal erlebt, dass ein Kind mich darauf angesprochen hat», sagt die Muslimin. Viel mehr interessierte die Kinder, ob sie Haustiere habe oder woher sie komme.
Diversität im Lehrerzimmer als Chance
Lehrerin ist Zahra Öğretmens Traumberuf, seit sie in der Pfadi mit Kindern zusammenarbeitet. Vor dem Studium hat sie sich schlau gemacht, ob Unterrichten mit Kopftuch möglich ist. Und sich dann entschieden, das Studium mit Kopftuch zu beginnen.
«Ich trage Kopftuch, weil ich mich Gott näher fühle, stärker verbunden mit meiner Religion», erzählt die junge Muslimin. Die Entscheidung habe sie aus eigener Überzeugung und aus freiem Willen selbst gefällt, betont sie. Die Eltern hätten ihr eher abgeraten.
Die aktuelle Diskussion über ein Verbot macht ihr Sorgen. Sie findet: «Meine Kompetenz sollte im Vordergrund stehen, nicht meine Kleidung.»
Dass sie den Kindern ihre Religion nicht aufdränge, sei selbstverständlich. Sie ist überzeugt: Jeder Lehrer, jede Lehrerin bringe eigene Wertvorstellungen mit, die man thematisieren sollte, statt sie zu verbieten. «Diversität im Lehrerzimmer ist eine Chance», sagt Zahra Öğretmen.
Keine religiösen Symbole im Klassenzimmer
Das würde auch Bernhard Hauser unterschreiben. Der SP-Bildungspolitiker ist Schulpräsident in Sargans und war bis zu seiner Pensionierung Dozent an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen.
Vor dreissig Jahren haben wir die Kruzifixe aus den Schulzimmern entfernt, da geht es nicht an, dass wir nun Kopftücher zulassen.
Trotz dem Bekenntnis zur Diversität ist Bernhard Hauser Befürworter eines Kopftuchverbots für Lehrerinnen. «Die Schule muss religiös neutral sein», sagt Hauser. Das Kopftuch hingegen sei ein Symbol für den Islam – eines, das man darüber hinaus auch als frauenfeindlich interpretieren könne, weil es die Stellung der Frau abwerte, so Hauser.
Zudem müsse man alle Religionen gleich behandeln. «Vor dreissig Jahren haben wir die Kruzifixe aus den Schulzimmern entfernt, da geht es nicht an, dass wir nun Kopftücher zulassen.»
Bernhard Hauser betont, dass die Werte, die Schule, Eltern und Gesellschaft vertreten, einen Einfluss auf die schulische Leistung hätten. «Ob Eltern oder die Lehrerin glauben, dass das Können lernbar, genetisch bedingt oder gottgegeben ist, wirkt sich auf den Bildungserfolg der Kinder aus.» Zudem seien Lehrerinnen und Lehrer Vorbilder, Kinder schauten sich vieles ab. Da gelte es besonders genau hinzuschauen, auch auf die Kleidung.
Religionsfreiheit vs. Religionsfreiheit
Sowohl Zahra Öğretmen als auch Bernhard Hauser argumentieren mit der Religionsfreiheit. Tatsächlich gilt dieses Grundrecht sowohl für die Lehrerinnen wie auch für die Schülerinnen und Schüler.
Hier kollidieren zwei Rechtsgüter. Keines hat Vorrang.
Letztere dürfen nicht beeinflusst werden. «Hier kollidieren zwei Rechtsgüter», sagt auch Lorenz Engi, Privatdozent für öffentliches Recht an der Universität St. Gallen sowie Lehr- und Forschungsrat am Institut für Religionsrecht der Universität Freiburg. «Keines hat Vorrang.» Deshalb sei die Frage, ob ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen überhaupt zulässig sei, nicht ganz einfach zu beantworten.
Zwar gebe es ein Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 1997, das ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen stützt. Allerdings bezieht es sich auf einen Fall aus Genf, einem Kanton mit laizistischer Verfassung. «Dieses Urteil kann deshalb nicht einfach so auf andere Kantone übertragen werden.» Zudem sei das Urteil fast dreissig Jahre alt, die Gesellschaft heute eine andere. Lorenz Engi hält es für möglich, dass das Bundesgericht einen neuen Fall aus einem anderen Kanton anders beurteilen würde.
Würden kantonale Verbote die Situation klären?
Und wie steht es um die Verbote, die zurzeit diskutiert werden? Ein kantonales Verbot sei eine Möglichkeit, um Klarheit zu schaffen, sagt Lorenz Engi. Es müsse aber «religionsneutral» verfasst sein, dürfe also nicht nur das islamische Kopftuch verbieten. Denkbar sei hingegen, kleinere Zeichen wie Kreuzkettchen zuzulassen und «auffällige» religiöse Symbole zu verbieten.
Etwas anders sieht es bei einem Kopftuchverbot für Schülerinnen aus, wie es etwa die SVP Zug fordert. Hier sagt das Bundesgericht klar: Ein Kopftuchverbot für Schülerinnen ist nicht zulässig. Daran würden auch kantonale Gesetze nichts ändern, sagt Engi. Die Rechtslage sei in diesem Fall klarer, da die Kopftücher der Schülerinnen die anderen Kinder nicht gleichermassen beeinflussen und deshalb nicht auf die religiöse Neutralität der Schule geachtet werden muss.
Werde ein Kopftuchverbot für Schülerinnen hingegen in die Verfassung geschrieben, müssten die Gerichte entscheiden, was Vorrang hat: die Religionsfreiheit oder das Kopftuchverbot. Ausgang offen.