Zum Inhalt springen

Männer im Heimwerkfieber Vati zeigt, wo der Hammer hängt

Selbermachen war nicht immer selbstverständlich. Erst misstraute man in Europa diesem eigenartigen Trend aus den USA. Heute werden damit Millionengeschäfte gemacht. Das Zielpublikum? Der Mann.

  • In den 1950er-Jahren schwappte der Do-it-yourself-Trend von den USA auf Europa über.
  • Der Historiker Jonathan Voges schreibt in seinem Buch über «Do it yourself» als Massenphänomen der Nachkriegsjahre.
  • Baumärkte profitieren vom anhaltenden Trend und pflegen eine hauptsächlich männliche Zielgruppe.

«Wer ein guter Amerikaner sein will, der macht alles selbst», schrieb der deutsche Journalist Peter von Zahn 1957 in einem Artikel. Er staunte nicht schlecht über den Heimwerker-Tick der US-Amerikaner.

Deutsche Wertarbeit und hemdsärmeliger Pioniergeist «made in USA» schienen nicht zusammenzupassen. «Do it yourself» war einmal mehr ein beargwöhnter «Amerikanisierungsversuch», der einem Kulturkampf gleichkam.

Jonathan Voges

Box aufklappen Box zuklappen

Jonathan Voges, geb. 1985, studierte Geschichte und Germanistik in Deutschland und in den USA. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Hannover.

Papa bastelt im Keller

Jonathan Voges hat diesem Massenphänomen der Nachkriegsjahre ein über 600-seitiges Buch gewidmet. Es nähert sich den Ursprüngen des «Do it yourself» und der blühenden Heimwerker-Welt aus soziologischer und ökonomischer Perspektive.

Papas Bastelkeller war in den 1950er-Jahren ein ganz besonderer Ort. Da durfte nur Vati basteln, hämmern, sägen und seiner Kleinfamilie vorführen, wo der Hammer hängt. «Die Heimwerkstatt im Keller sollte das Herz des Hauses sein»: Das dichtete «Selbst ist der Mann», die Fachzeitschrift der Heimwerker.

Zementierte Geschlechterrollen

Werbebroschüren zeigen das Familienoberhaupt mit Weste und Krawatte. Die Ehefrau darf bestenfalls streichen und das kleine Töchterchen hält ein Vogelhäuschen in der Hand. Ein kleinbürgerliches Idyll und eine Momentaufnahme zementierter Geschlechterrollen in wirtschaftlich satten Jahren.

Jonathan Voges, selbst kein erklärter Heimwerker, hat drei Jahre lang Archive durchstöbert, Firmengeschichten gesichtet und viel Material ans Tageslicht geholt. Es zeigt die vielen Facetten des Heimwerker-Booms.

Mann zimmert sich seine Gegenwelt

Selbst ist das Bastel-Genie

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Keystone
  • Design yourself: Mit der Säge im Museum
  • Design für wenig Geld – do it yourself
  • Trendsport «Do it yourself»: Design für eine bessere Welt?

Heimwerken war nicht nur eine Tugend, die das kleine Familienbudget schonte. Es war ein Gegengift zur tristen Arbeitswelt. Daheim konnte «Mann» der Fliessbandarbeit eine Gegenwelt zimmern.

«Sich Selbstverwirklichen» hiess das in den 1960er- und 1970er-Jahre. Frauen spielten bei dieser Selbstverwirklichung des Familienoberhaupts zunächst keine grosse Rolle, ganz im Gegenteil.

Mann ist kreativ, Frau nützlich

Heimwerken war die kreative Werkarbeit im Gegensatz zur nützlichen Hausarbeit der Ehefrau. Sie durfte allenfalls mal Leim auf Tapetenbahnen auftragen oder ein Regalbrett anstreichen.

Aber was geschah mit Papas Bastelkeller? Die Ausstattung wurde immer professioneller und ambitionierter. Der improvisierte Werkraum entwickelte sich über die Jahre in eine kostspielige Werkzeugkammer, die den Wert eines mittelständischen Unternehmens erreichen konnte.

Der bärtige Do-it-yourself-Mann

Bohrmaschinen, Akkuschrauber, Rasenmäher und nun auch 3D-Drucker wurden über die Jahre Prestigeobjekte. Heute begeistern sie Mann und Frau gleichermassen – zumindest fast.

Audio
Do It Yourself-Design: Was der Trend bewirkt
aus Kontext vom 30.04.2015. Bild: Umberto Romito/ZHdK
abspielen. Laufzeit 52 Minuten 23 Sekunden.

Der Heimwerker-Markt richtet sich in der Regel immer noch an männliche Kunden. Diese erfüllen aber nicht mehr das Klischee vom werkelnden Vati. Praktisch, bärtig wie ein kumpelhafter Naturbursche, gerne auch mit Selbstironie, steht der Do-it-youself-Mann von heute im Visier der Baumärkte.

Ein Stadtrandgebiet ohne Baumarkt wirkt heute wie ein Dorf ohne Kirche. Wie lange der Trend noch anhält, steht in den Sternen, denn ein neuer Trend hat uns erreicht: Selber Reparieren ist angesagt – das neue «Do it yourself».

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 29.8.2018, 6.50 Uhr

Meistgelesene Artikel