Zum Inhalt springen

Header

Video
Ausschnitt aus «Gotthard»: Kranke Arbeiter im Tunnel
Aus Kultur Extras vom 08.12.2016.
abspielen. Laufzeit 38 Sekunden.
Inhalt

Prekäre Arbeitsverhältnisse Ein Geheimbericht entlarvte die Ausbeutung am Gotthard

Die Wohn- und Arbeitsverhältnisse auf der Baustelle des alten Gotthard-Tunnels waren katastrophal. Das belegt ein Geheimbericht, den ein Forscher im Schweizerischen Bundesarchiv fand.

Bei diesem dichten Rauch könnten sie nicht mehr atmen, klagten Ende Juni 1875 einige italienische Mineure. Sie weigerten sich spontan, weiter im Gotthard-Tunnel zu arbeiten.

In der Tat verpesteten Dynamitgase, Steinstaub und Gestank von Fäkalien die Luft. Die Arbeitsverweigerung schlug deshalb rasch in einen Streik um, die Arbeiter blockierten den Tunneleingang.

Protest gewaltsam erstickt

«Gotthard» – das Webspecial

Box aufklappen Box zuklappen

Fakten, Anekdoten, Hintergründe: Tauchen Sie ein in die Gotthard-Welt im grossen Webspecial zum TV-Film.

Am nächsten Tag liess die Bauunternehmung die Urner Polizei und die Göschener Bürgerwehr aufmarschieren. Diese schlugen den Streik blutig nieder – vier Arbeiter starben.

Die italienische Regierung, die den Bau massiv finanziell unterstützte, reagierte mit scharfem Protest. Der Bundesrat war gezwungen, eine Untersuchung in Auftrag zu geben. Er schickte den Bündner Anwalt, Ständerat und Oberst Hans Hold, nach Göschenen und Airolo.

«Elend übersteigt alle Begriffe»

Im offiziellen Bericht schrieb Hold, es hätte keinen Grund für den Streik gegeben: Die Luft sei gar nicht schlecht gewesen, die Arbeiter hätten zudem die Landjäger mit Revolver bedroht. Die getöteten Mineure seien selber schuld, da sie sich «durch Steinwürfe auf die betreffende Mannschaft hervorthaten, dabei ihr Leben einbüssten».

Einzig betreffend Wohnverhältnisse sprach Hold Klartext: «Die Logierung der Arbeitermassen liegt ganz in Händen der Speculation. Das Elend in den für die Arbeiter hergerichteten Quartieren übersteigt alle Begriffe. In kleinen dumpfen Zimmern reiht sich Bett an Bett – elende, halbfaule Strohsäke.»

Ein unscheinbares, handschriftliches Papier

Doch Hans Hold verfasste zuhanden des Bundesrats noch einen weiteren Bericht, einen «Geheimbericht»: «Ich erlaube mir», schrieb er, «einige Punkte in confidenzieller Weise zu berühren, welche sich zu officieller Darstellung kaum eignen dürften.»

Gefunden hat den Bericht der Zürcher Historiker Konrad Kuoni. «Ich habe im Bundesarchiv zahlreiche Akten studiert, und plötzlich fiel mir ein unscheinbares, handschriftliches Papier auf», erzählt er. Beim genauen Hinschauen entdeckte er das Wort «confidenziell» – und er begann elektrisiert zu lesen.

In seiner umfangreichen historischen Arbeit hat Kuoni den schwer entzifferbaren Bericht Wort für Wort in Druckschrift zitiert.

Bundesrat schweigt Bericht tot

Der Geheimbericht gab Historiker Kuoni ganz neue Einblicke in die damaligen Arbeits- und Lebensbedingungen. Hold schreibt, die Arbeiter seien faktisch rechtslos. Sie würden immer wieder Ziel von Verbrechen, ihr hart verdientes Geld würde ihnen geraubt – und die Polizei kümmere sich nicht darum.

Sendehinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Im Anschluss an «Gotthard, Teil 2» beleuchtet «DOK» die Hintergründe des ersten Gotthard-Tunnels: Montag, 12.12.2016, 21.40 Uhr, SRF 1.

Hold kritisiert die Behörden, da diese nichts gegen die Ausbeutung der Arbeiter unternähmen: «Die Speculanten thun, was Sie wollen, sie übervortheilen ungestraft die Arbeiter – keine Amtsstelle kümmerte sich darum.»

Kurz: Aufgrund dieser zeitgenössischen Untersuchung sind die Wohn- und Arbeitsverhältnisse in Göschenen und Airolo so gut dokumentiert

Der Geheimbericht hatte jedoch wenig Wirkung: «Der Bundesrat», erzählt Kuoni, «ging in keiner Art und Weise auf den geheimen Hold-Bericht ein, er schwieg in tot.»

Meistgelesene Artikel