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Literatur Der Vater des niederländischen Rap war ein Schweizer

Kaum ein anderer konnte so virtuos mit der niederländischen Sprache umgehen, legendär seine Gedichte und sein näselnder Sprechgesang. Nun ist Drs. P alias Heinz Herman Polzer im Alter von 95 Jahren gestorben. Was kaum ein Niederländer weiss: Der beliebte Sprachkünstler war gebürtiger Schweizer.

Goethe war in den Augen von Drs. P ein Fachmann. Aber nach ihm gab es nicht mehr viele Poeten, die Gnade fanden vor dem niederländischen Sprachkünstler mit Schweizer Wurzeln. Drs. P fand es abstrus, wenn in einem Gedicht einzig das Gefühl, also der Inhalt im Vordergrund stand.

Für ihn war die Technik das A und O eines jeden Gedichts. Das sei wie bei einem Schreiner, erklärte er in einem Gespräch mit Schweizer Radio SRF: «Er sollte darauf achten, dass sich die Türen eines Schrankes gut öffnen und schliessen lassen. Wenn das Möbelstück dann auch noch schön aussieht, ist das eine nette Zugabe.»

Ein Vorbild für Rapper

Deshalb sorgte Drs. P dafür, dass seine Reime, Metrum und Grammatik korrekt waren. Um dies zu erreichen, brütete er tagelang an seinem Schreibtisch an einer Amsterdamer Gracht. Viele seiner oft abstrus, aber meist sehr witzigen Texte, die er in einem näselnden Singsang vortrug, gingen in die niederländische Musikgeschichte ein – und machten aus Drs. P eine Kultfigur. Seine Lieder werden von Kinder und Erwachsenen gleichermassen geliebt. Rapper verehren ihn als Meister des Sprechgesangs.

Drs. P kam in Thun als Heinz Herman Polzer zur Welt. Als seine Eltern sich scheiden liessen, zog er als Dreijähriger mit seiner Mutter in die Niederlande, wo er den grössten Teil seines Lebens verbrachte. Er studierte Wirtschaft, was aber nicht hiess, dass er keine Flausen im Kopf hatte.

Ein Schlingel mit Grips

Während des Zweiten Weltkriegs, als die Niederlande durch die Nazis besetzt waren, veröffentlichte er in einem Studentenblatt eine Geschichte über die Lausbuben Ben und Dolf, die von Onkel Sam eine Tracht Prügel bekommen. Der Verweis auf Hitler und Mussolini war den Spitzeln nicht entgangen. Polzer wurde verhaftet und ein halbes Jahr ins Gefängnis gesteckt. Danach unterbrach er sein Studium, zog in die Schweiz und verdiente sich sein Leben als Barpianist in den Edelhotels von Zürich, Gstaad und Klosters.

Zurück in den Niederlanden schloss er das Studium ab, aber als Ökonom arbeitete er nie. Vielmehr fand er eine Anstellung in der Reklamebranche. Am liebsten beschäftigte er sich aber schon damals mit dem Verfassen von perfekt-metrischen Texten, mit denen er auch auftrat.

Ein leidenschaftlicher Schweizer

Der Name Polzer jedoch erwies sich für diese Tätigkeit als unpraktisch. Die Assoziation mit Deutschland war so kurz nach dem Krieg viel zu gross gewesen. Deshalb legte sich Polzer ein Pseudonym zu: Doctorandus, abgekürzt Drs – damit werden niederländische Akademiker betitelt – sowie das P für Polzer. Mit diesem Namen wurde er im niederländischen und belgischen Sprachgebiet sehr berühmt. Dass er Polzer hiess und immer Schweizer geblieben ist, weil er nicht auf den geliebten roten Pass verzichten wollte, wissen die wenigsten.

Mit seinen irrwitzigen Vokalstücken machte sich der geistreiche Schweizer in seiner Wahlheimat unsterblich. Seine philosophische Betrachtung über eine Fähre, die «hen en weer» – hin und her – fährt, gehört genau so zur niederländischen Musikgeschichte wie die Ballade über die Schwestern Karamazov. Mathilde will darin Constance mit Terpentin und Rattengift ums Leben bringen. Um sich zu vergewissern, ob das Gebräu funktioniert nimmt sie einen Schluck – «und fällt um wie ein Klotz.»

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