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Literatur Die USA hat europäische Literatur nicht nötig – meistens

«Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.» Das scheint das Motto amerikanischer Verlage zu sein. Nicht-Amerikanische Literatur muss man suchen. Man genügt sich selbst. Nur wenn es um Mord und Totschlag geht, ticken die Verlage anders. Ein Blick auf den amerikanischen Buchmarkt.

Als Günter Grass 1999 den Literaturnobelpreis erhielt, hatten amerikanische Buchhändler alle dasselbe Problem: Ihnen fehlten die Bücher des Preisgekrönten. Gleiches galt 2004 für Elfriede Jelinek. Werke von Herta Müller, die den Preis 2009 gewann, findet man noch heute nur mit Mühe. Zu sagen, deutschsprachige Literatur habe es schwer in den Vereinigten Staaten, wäre eine Untertreibung. Den Grund dafür in der oft beschworenen Verkopftheit zu suchen, hiesse jedoch, die Natur des amerikanischen Buchmarktes zu verkennen.

Warum in der Ferne suchen

Amerikaner haben nichts gegen Literatur aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie sind einfach an Literatur aus dem Ausland nicht besonders interessiert. Bei nur drei Prozent der jährlich produzierten Titel handelt sich um Übersetzungen aus anderen Sprachen. Im Vergleich dazu sind es in deutschsprachigen Ländern über zwölf Prozent, in Spanien 24 Prozent und in Polen 46 Prozent.

Das eigene Land scheint international genug

Die meisten Verlage verfügen über Lektoren, die sich ausschliesslich mit fremdsprachigen Werken befassen. Nicht so in den USA. Hier herrscht die Ansicht, die kulturelle Vielfalt des eigenen Landes sorge für genügend Internationalität.

In gewisser Weise stimmt das sogar. Gerade in jüngster Zeit haben sogenannte neue Immigranten die amerikanische Literaturlandschaft aufgemischt. Diese Autoren sind als Kinder nach Amerika gekommen oder Kinder von Zuwanderern. Sie verbinden in ihren Werken die Realität ihrer alten Heimat mit dem Alltag ihrer neuen und bieten amerikanischen Lesern Fremdes und Vertrautes in einer Mischung mit ausreichend Identifikationspotential – und sie schreiben englisch.

Ihnen gegenüber wirken Bestsellerautoren aus der Schweiz wie Eveline Hasler oder Lukas Hartmann geradezu exotisch. Deren Geschichten und Romane müssen übersetzt und erklärt werden.

Mörder aus dem Ausland sind gefragt

Mit Abstand am weltoffensten sind Amerikas Krimileser. Sie sehnen sich genau wie die Verlage nach dem nächsten Stieg Larsson und skandinavischen Killer-Knüllern. Oder nach japanischen, kubanischen oder österreichischen Mördern und Rächern. Hauptsache, der Plot überzeugt. Literarische Experimente sind in dieser Gattung wenig verbreitet – das erleichtert den Zugang. Zudem ist der Ermittler mit seinem Freipass, hinter die Kulissen einer Gesellschaft zu schauen, der perfekte Touristenführer. Nicht zuletzt deshalb wurde eine Übersetzung von Friedrich Glausers «Matto regiert» vor einigen Jahren als kleine Sensation gefeiert.

Robert Walser und Peter Stamm, deren Namen in den US-Feuilletons ebenfalls gelegentlich auftauchen, hätten mit ein paar Morden im Angebot bestimmt noch bessere Chancen.

Fondue-Plausch mit Mord und Totschlag

Gutes Marketing ist hilfreich. Es können auch ganz offiziell die Werbetrommeln einer Regierung sein. So ermuntert das französische Kulturministerium amerikanische Buchhandlungen seit kurzem zur Einrichtung von speziellen Abteilungen für Literatur aus dem Lande Prousts. In New York betreibt die französische Botschaft sogar eine eigene Buchhandlung.

Bisher hat die Pro Helvetia noch nirgendwo in den USA zum literarischen Fondue-Plausch geladen. Dabei erwiese sich hier gerade die Kombination von geschmolzenem Käse und helvetischem Totschlag vielleicht als Erfolgsrezept für Nachwuchsliteraten aus dem Alpenstaat.

Sendung: Kultur kompakt, 18.2.2015, 18.50 Uhr.

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