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Literatur Ein feinsinniger Comic über grosse Fragen und kleine Antworten

Mit «Das Handbuch der Hoffnung» legt der preisgekrönte finnische Comic-Autor Tommi Musturi einen ungewöhnlichen Bilderbogen vor: Eine lakonische Meditation über existenzielle Fragen, in der sich Melancholie und Humor die Waage halten.

Ein schlichtes Holzhaus mitten in den finnischen Wäldern, ein älterer Mann mit Halbglatze und traurigem Schnauz und seine nur selten im Bild auftauchende Ehefrau: Sie sind Kulisse und Personal von «Das Handbuch der Hoffnung».

Die Handlung? Sie ist kaum der Rede wert: Der Mann hackt Holz, sammelt Pilze, beobachtet die Wolken, fischt, trinkt Bier. Hin und wieder stolpert er als Abenteurer, Cowboy, Superheld oder Fred Feuerstein durch Tagträume, meistens aber sinniert er mit einer Mischung aus Nostalgie und Melancholie, Pessimismus und Galgenhumor über sein Leben, seine Vergangenheit und seine Endlichkeit, den nahenden Tod.

Langweilig? Überhaupt nicht. «Das Handbuch der Hoffnung» ist ein überaus faszinierender Wurf.

Kindheit im Dorf

Der 1975 geborene Tommi Musturi wuchs in Ruovesi auf, einem Dorf mitten in Finnland. Seen, Wälder und die Isolation haben ihn geprägt. Für jemanden wie ihn habe es, erinnert er sich, in Ruovesi nichts gegeben. Deshalb habe er als Heranwachsender seine ganze Zeit zuhause verbracht und gezeichnet.

Comic-Autor Tommi Musturi beim Zeichnen während der «Nacht der Künste» 2011 in Helsinki.
Legende: Tommi Musturi 2011 anlässlich der «Nacht der Künste» in Helsinki. Wikipedia

Die Protagonisten von «Das Handbuch der Hoffnung» sind inspiriert von zwei Nachbarn, die Tommi Musturi in seiner Kindheit beobachtete: «Sie haben das Dorf kein einziges Mal verlassen. Ich fand es merkwürdig, dass man so leben konnte, ohne Austausch mit der Welt. Und doch wirkten sie glücklich.»

In den 1990er-Jahren zog Musturi nach Helsinki, um Kunst zu studieren. Heute lebt er in Tampere, im Südwesten Finnlands. Längst ist er eine Schlüsselfigur der finnischen Comic-Szene: 1997 rief er die (mittlerweile eingestellte) jährliche Anthologie «Glömp» ins Leben, vor etwa zehn Jahren die vierteljährliche Gratis-Comiczeitung «Kuti Kuti». Er gründete die Verlage «Boingbeing» und «Huuda Huuda». Ausserdem ist er die treibende Kraft vieler Gruppenausstellungen, Strassenaktionen und Performances, mit denen er an Comic-, Kunst- und Theaterfestivals rund um die Welt auftritt.

Künstlerische Eruptionen

So viel Energie würde man dem 40-Jährigen mit halblangen blonden Haaren und weichen Gesichtszügen gar nicht zutrauen. Im Gespräch ist er still und zurückhaltend.

Vier Bilder aus dem Comic «Unterwegs mit Samuel».
Legende: Musturis «Unterwegs mit Samuel» kommt komplett ohne Sprache aus. Reprodukt

Ganz anders ist er in seiner Arbeit: explosiv, ausdrucksstark und enorm vielfältig. In seinen Skizzenbüchern entfacht er abstrakte und expressive Eruptionen. In seinen Gemälden und Illustrationen modernisiert er psychedelische Ästhetiken zwischen «Underground Comix» und Pop-Art.

Comics wie «Das Handbuch der Hoffnung» und «Unterwegs mit Samuel» sind dagegen sowohl graphisch als auch narrativ klar, kontrolliert und bei aller Eigenwilligkeit immer problemlos verständlich.

Tiefsinn und Plattitüden

Die Einfachheit der Zeichnungen darf nicht über die Komplexität von «Das Handbuch der Hoffnung» hinwegtäuschen. Die Zeichnungen illustrieren nicht nur, sie reflektieren das Geschehen und die Gedanken des namenlosen Protagonisten – und auch das, was er verschweigen und verdrängen möchte.

Literaturhinweis

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Tommi Musturi: «Das Handbuch der Hoffnung». Avant Verlag, Berlin 2015.

Immer wieder bauen sich die grossen, dringlichen Fragen vor ihm auf – und er versucht, sie mit kleinen Antworten zu bändigen oder sich ihnen mit Ausflüchten und Plattitüden zu entziehen. Oft verstummt er und lässt die Bilder sprechen.

Tiefsinn, Banalität und eine gehörige Portion trockener Humor halten sich dabei die Waage. Das kommt auch in Musturis entschleunigter Erzählweise zum Ausdruck: Die vielen kleinen, über weite Strecken wortlosen Einzelbilder machen Leere, Langsamkeit und Einsamkeit spürbar.

Finnisches Leben

So zieht uns Musturi nicht nur tief in die Existenz seiner Protagonisten hinein, sondern auch in ein scheinbar imaginäres, tatsächlich aber naturalistisches Finnland. In ein Land, das geprägt ist von Naturnähe und jahreszeitlichen Extremen, von Licht und Nacht, Euphorie und Schwermut.

Obschon Tommi Musturi schon lange in der Stadt lebt, bleiben Natur und Einsamkeit für ihn wichtig – wie für die meisten Finnen. «In der Stadt kann ich zwar gut arbeiten», sinniert er, «aber zum Nachdenken ziehe ich mich jeweils für längere Zeit aufs Land zurück.» Er könnte sich sogar vorstellen, wieder auf dem Land zu leben. Auch in seinem Heimatdorf Ruovesi? «Nein, dort auf keinen Fall!»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 24.6.2015, 17.10 Uhr.

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