«Die Holländerinnen» ist ein sinnlicher und beweglicher Text, der uns in einen Leserausch versetzt», schreibt die Jury des Schweizer Buchpreises in ihrer Begründung zur Auszeichnung über Dorothee Elmigers Roman: «In ihrem konsequent komponierten Roman umkreist sie Gewalt in unterschiedlichen Formen und macht Desorientierung körperlich erfahrbar – ein Gefühl, das für unsere Gegenwart steht.»
Dorothee Elmiger erweitert, nach Melinda Nadj Abonji und Kim de l’Horizon, den Kreis der Literaturschaffenden, die für ihr Buch im selben Jahr den Deutschen und den Schweizer Buchpreis gewinnen.
«Die Holländerinnen» spielt zu grossen Teilen im mittelamerikanischen Urwald. Eine Autorin berichtet in einer Poetikvorlesung von ihrer Reise in den Dschungel als Teil einer Theatergruppe. Diese ist auf den Spuren zweier niederländischer Touristinnen, die vor Jahren dort tatsächlich verschwunden sind.
Ist Erzählen verdächtig?
Doch das Projekt läuft aus dem Ruder: Die Gruppe wird vom Urwald nahezu verschluckt und erzählt sich verstörende Geschichten – die die Autorin im Auftrag des «Theatermachers» protokolliert und damit als Material für sein Theaterprojekt verfügbar macht. Daraus ergibt sich eine spezielle Erzählsituation: Fast der ganze Roman ist in indirekter Rede im Konjunktiv erzählt.
Damit gerät auch das Erzählen selbst in den Fokus. Der schriftstellerische Umgang mit allen Arten von «Material» ist neben der Gewalt ein grosses Thema dieses Romans – seien es Ereignisse aus der realen Welt, seien es Literatur, Philosophie oder die Geschichten, die sich die Romanfiguren untereinander erzählen. Der Autorin im Roman erscheint ihr eigenes Erzählen darüber zunehmend verdächtig. Die Buchpreis-Jury findet sogar, Elmiger gehe in ihrem Roman von einer «Unmöglichkeit des Erzählens» aus.
Beim Schweizer Buchpreis hat sich «Die Holländerinnen» gegen starke Konkurrenz durchgesetzt: das Familienepos «Lázár», mit dem der 22-jährige Nelio Biedermann einen steilen Aufstieg hingelegt hat, Meral Kureyshis poetischer Mehrgenerationenroman «Im Meer waren wir nie», Jonas Lüschers verschachtelte Ergründungen zum Verhältnis Mensch-Maschine in «Verzauberte Vorbestimmung» und Melara Mvogdobos «Grossmütter» von zwei Kontinenten, die doch den Ausbruch aus dem gleichen patriarchalen Unterdrückungsapparat wagen.
Konsequente Entscheidung der Jury
Im Vorfeld von Buchpreisvergaben wird gern spekuliert, was strategische Argumente für oder gegen bestimmte Titel sein könnten – etwa: Meral Kureyshi war bereits einmal nominiert und hat nicht gewonnen, darum vielleicht diesmal. Jonas Lüscher hat den Schweizer Buchpreis schon einmal erhalten, darum vielleicht weniger wahrscheinlich.
Dorothee Elmiger war bis jetzt mit jedem ihrer Bücher nominiert und hat nie gewonnen, darum vielleicht diesmal – und nach dem Deutschen Buchpreis erst recht. Nelio Biedermann ist als junger Autor schon sehr hochgelobt, mit einem Sieg würden die Erwartungen an ihn ins Erdrückende steigen, darum vielleicht eher unwahrscheinlich.
Dass der Schweizer Buchpreis nun an Dorothee Elmigers Roman geht, ist aber nicht das Resultat höherer Logik, sondern schlicht eine konsequente Entscheidung der Jury. Unter den fünf Nominierten ist «Die Holländerinnen» klar das literarisch stärkste Buch – ein verdienter Sieg!