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Literatur Otto Frei – ein vergessener Sprachpoet taucht wieder auf

Landschaftsbeschreibungen, Charakterstudien und eindringliche innere Monologe – dies sind Merkmale des Werks des 1990 verstorbenen Schriftstellers Otto Frei. Der neue Sammelband «Bis sich Nacht in die Augen senkt» öffnet einen neuen Zugang zum heute kaum noch bekannten Autor.

Porträt des Schriftstellers Otto Frei.
Legende: Porträt des Schriftstellers Otto Frei von Hans Baumgartner. zvg

Fünf Romane aus den 1970er- und 80er-Jahren umfasst der Sammelband: Gemeinsam ist ihnen, dass sie allesamt zumindest teilweise in der Heimat von Otto Frei spielen: in Steckborn am Untersee im Kanton Thurgau.

Die Roman tragen Titel wie «Jugend am Ufer», «Zu Vaters Zeit» oder «Rebell». Der 1924 geborene Frei schildert darin unter anderem den Alltag und das Lebensgefühl in der Thurgauer Provinz in den 1930er- und 40er-Jahren.

Von Käuzen und Originalen

Eine Besonderheit in Otto Freis Werk ist die immer wieder aufblitzende Ironie. Frei erweist sich als meisterhafter Beobachter seiner Zeitgenossen, die er in seinem literarischen Werk satirisch überzeichnet.

So beschreibt er etwa einen Wirt mit dem Namen Ruckstuhl als einen Mann, der viel lache, «von einem Ohr zum andern». Seine Nase sei «riesig wie eine Kartoffel, blau und rot, mit feinen Äderchen», sodass er Lust hätte, «hineinzustechen, um zu sehen, was da herauskommt».

Die Nazis und der Krieg

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Otto Frei über die Judenverfolgung (Gelesen von Vincent Leittersdorff)
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Eindringlich schildert Frei an verschiedenen Stellen der fünf Bücher des neuen Sammelbands den Aufstieg der Nazis jenseits des Untersees. Auch von der Schweizer Wahrnehmung des Krieges berichtet Frei, von der Angst, von Hitler geschluckt zu werden, von der Ambivalenz zwischen Gefährdung und Verschonung.

Frei berichtet von den Bombardierungen der Alliierten jenseits der Grenze. Besonders unter die Haut gehen Freis Beschreibungen der Judenverfolgung, die er als kleiner Junge in Konstanz mit eigenen Augen beobachtet – und die ihn verstört.

Der Konflikt mit dem Vater

In den teilweise historisch-faktentreuen, teilweise fiktionalen Romanen blitzt immer auch wieder der Konflikt des Sohnes mit dem Vater auf. Die Auseinandersetzung radikalisiert sich im Verlaufe der Bücher zusehends.

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Otto Frei über seinen Vater (Interview von 1978)
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Im ersten Buch «Jugend am Ufer» schildert Frei den Vater als kauzigen, jedoch fürsorglichen Familienmenschen. Später ist stets vom «Alten» die Rede. Und im letzten Roman, dem «Rebell», erschlägt der Sohn den Vater in einem mythischen Traum mit einer Schaufel.

Zu Unrecht vergessen

Der Literaturwissenschaftler Charles Linsmayer, der Herausgeber des neuen Sammelbandes, ist von der Poesie Freis begeistert. Er sei zu Unrecht vergessen gegangen, sagt er im Interview mit Radio SRF. Frei hat sich laut Linsmayer im Schweizer Literaturbetrieb deshalb nie durchzusetzen vermocht, weil er kein engagierter Linker gewesen sei. Dies sei in den 70er- und 80er-Jahren von einem Schriftsteller jedoch erwartet worden.

Der bürgerliche Frei war promovierter Historiker und arbeitete lange Zeit für die «Neue Zürcher Zeitung», als Korrespondent in Berlin und später in der Romandie. Erst spät, im Alter von etwa fünfzig Jahren trat er als Schriftsteller an die Öffentlichkeit. Das rein Faktische des Journalismus, schrieb Frei einmal, habe ihm nicht mehr genügt. Erst die Literatur habe ihm die Möglichkeit eröffnet, in seelische Sphären vorzudringen.

Buchhinweis

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Otto Frei: «Bis sich Nacht in die Augen Senkt. Die Steckborner Pentalogie». Herausgegeben von Charles Linsmeyer, Huber Verlag 2014.

Dichtern eine zweite Chance geben

Otto Freis Buch ist der dreissigste Band der von Charles Linsmayer herausgegebenen Reihe «Reprinted by Huber». Sein Ziel sei es, sagt Linsmayer, das Lesepublikum mitzunehmen auf eine Entdeckungsreise zu kaum bekannten Schätzen der Schweizer Literatur.

Es gebe viele Autoren, die eine «zweite Chance verdienen», ist Linsmayer überzeugt. Wenn Leserinnen und Leser über die in seiner Serie präsentierte Literatur staunen und sich wundern würden, warum sie diese Werke nicht längst gekannt hätten, dann sei der Zweck der Reihe erfüllt.

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