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Literatur Social Reading: Gemeinsam statt einsam lesen

Social Reading vereint Leseclub und einsames Lesen und schafft so eine neue literarische Öffentlichkeit. Dabei spricht es womöglich Leserschichten an, die das gedruckte Buch nicht mehr erreicht.

In seinem Werk «Die Gutenberg-Galaxis» prophezeite Marshall McLuhan 1962 das Ende des Buchzeitalters. 1980 starb dann nicht das Buch, sondern McLuhan selbst. Und doch gilt die analoge Welt inzwischen als vergangen, während die digitale Welt nicht mehr Zukunft, sondern inzwischen Gegenwart ist. Auch bei der Buchproduktion wird zunehmend auf digitale Produkte gesetzt, auf E-books. Ein Trend, der sich daraus ergeben hat, ist das Social Reading.

Ein aktuelles Beispiel, wie Social Reading funktionieren kann, zeigt der Verlag Kiepenheuer & Witsch mit dem frisch veröffentlichten Roman «Der bleiche König» aus dem Nachlass von David Foster Wallace. Namhafte Leser wie der Schriftsteller Clemens J. Setz, der Literaturkritiker Elmar Krekeler oder der Übersetzer Ulrich Blumenbach lesen – jeder für sich, aber doch gemeinsam – den Roman und dokumentieren ihren Leseprozess. Das ist auf der Website derbleichekoenig.de für alle einsehbar.

Austausch mit Experten

Am 21. Oktober schrieb Clemens J. Setz: «Lesen war für mich immer eine Tätigkeit, bei der ich mir weniger einsam vorkam. Beim Social Reading allerdings, wo meine Follower sehen können, welche Sätze ich mir anstreiche und kommentiere, verschwindet diese Wirkung – eben weil sie durch ein viel realeres, buchstäbliches Nicht-mehr-Alleinsein ersetzt wird. Wodurch ich mir nun, etwas paradox, beim Lesen wieder sehr einsam vorkomme. Ich muss sehen, wie lange ich das aushalte.»

Am 6. November wiederum markierte Setz im (e-)Buch von Wallace die Stelle «ein Lied pfeifen und ein anderes summen» und notierte selber: «Geht sogar! Allerdings kann ich‘s nur mit Zufallsmelodien. Echte Lieder erfordern zu viel Konzentration.»

Viele Fragen, die beantwortet werden

Nicht alles auf der Website liest sich so banal, es lohnt sich durchaus, selber einen Blick darauf zu werfen. Kiepenheuer & Witsch hat mit diesem Projekt etwas Wegweisendes geschaffen, bereits zum zweiten Mal. Denn auch bei David Foster Wallaces letztem Roman «Unendlicher Spass» («Infinite Jest») hatte der Verlag eine Social-Reading-Plattform ins Leben gerufen. Komplexe und anspruchsvolle Romane wie die von David Foster Wallace bieten sich geradezu an für diesen Zugang, denn der Leseprozess wirft in der Regel viele Fragen auf, über die sich die Leserschaft im Reading Room austauschen kann.

Das E-Book als Geprächsthema

Ein zweites Beispiel hat Sascha Lobo ins Leben gerufen. Lobo macht seit Jahren nicht nur seines roten Irokesenschnitts halber von sich reden, sondern vor allem durch seine klugen und geistreichen Kommentare zum Thema Internet. Er ist «Inoffizieller Mitarbeiter» der Zentralen Intelligenz Agentur und betreibt auf Spiegel Online eine Kolumne über die digitale Welt mit dem Namen «Mensch-Maschine».

Jüngst ist Lobo auch unter die Verleger gegangen. Eigentlich mehr unter die Buchhändler: Die von ihm gegründete Plattform «Sobooks», die im Frühjahr 2014 offiziell an den Start gehen soll, vertreibt Sachbücher, Zeitschriften und ausgewählte Belletristik. Verlage wie Heyne, Schöffling oder Rowohlt sind mit von der Partie, Zeitschriften wie brand eins oder der Merkur.

«Sobooks» kommt von Social Books und beinhaltet die Öffnung ins Social Reading, ins soziale Lesen. «Sobooks» möchte die 26 Millionen aktiven Facebook-Nutzer ansprechen, das E-book – also das, was die Digitalisierung aus dem traditionellen Buch gemacht hat – zum Gesprächsthema zu machen.

Möglichst viel Austausch

Die Diskussion über die Bücher, die Interaktion und die Aktivität sind drei Faktoren, die eng miteinander zusammenhängen und zukünftig zentral sein sollen, um die Relevanz eines Buches zu messen. Ziel ist möglichst viel Austausch über möglichst viele (digitale) Produkte.

Dass nicht die Qualität eines Buches, sondern dessen Relevanz im Fokus steht, sagt vielleicht auch etwas über den Paradigmenwechsel aus, der mit der Digitalisierung des Buches einhergeht. Aber vielleicht ist es auch einfach so wie bei Marshall McLuhan – dass wir uns nur irren.

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