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Pädophile Straftäter In der Schweiz kommt die chemische Kastration selten zum Einsatz

Antiandrogene Hormonbehandlungen – auch chemische Kastration genannt – werden hauptsächlich für Personen verschrieben, die unter pädophiler Neigung leiden. In der Schweiz werden sie nur selten eingesetzt. Ein Experte findet, die Wirkung dieser Therapieform werde unterschätzt.

Die antiandrogene Hormontherapie zielt darauf ab, das Verlangen, die Triebe und die sexuellen Fantasien zu vermindern. Ausserdem soll das Rückfallrisiko verringert werden.

In der Schweiz gibt es keine genauen Zahlen über die Zahl der Sexualstraftäter, die eine solche Hormonbehandlung in Anspruch nehmen. Marc Graf, Professor für forensische Psychiatrie an der Universität Basel, schätzt ihre Zahl auf etwa Hundert.

Einschätzungen einer RTS-Journalistin zur chemischen Kastration:

Im Kanton Waadt betreut der Dienst für Gefängnispsychiatrie, der dem Universitätsspital angegliedert ist, derzeit 150 Personen wegen sexueller Gewalt. 5 von ihnen erhalten eine hormonelle Medikation. Im Kanton Freiburg wiederum erwägt von 30 betreuten Patienten derzeit nur 1 Person eine solche Behandlung.

Nebenwirkungen schrecken ab

Die geringe Zahl von Sexualstraftätern, die an einer Hormontherapie teilnehmen, hängt mit der Schwere der Nebenwirkungen zusammen. «Erhebliche Müdigkeit, Brustwachstum, Osteoporose, Risiken von Lebertumoren, Diabetes, Anämien, Thrombosen, Embolien und Herzkrankheiten ... Diese medikamentöse Behandlung ist wirklich nicht harmlos», berichtet Corinne Cornaz Devaud, Leiterin der forensischen Therapien des Kantons Freiburg und Vizepräsidentin der Konferenz der Schweizer Gefängnisärzte.

Die Therapeutin verschreibt die Behandlung daher nur dann, wenn andere Therapien wie Psychotherapie oder Antidepressiva keine überzeugenden Wirkungen gezeigt haben.

Aber das könnte sich in Zukunft ändern. Neue Moleküle – GnRH-Agonisten – scheinen die gleichen Wirkungen mit weniger Nebenwirkungen zu erzielen.

Wirksamkeit wird laut Experte unterschätzt

Der Basler Psychiater Marc Graf ist überzeugt, dass das Potenzial der antiandrogenen Hormonbehandlungen zu wenig genutzt wird: «Man unterschätzt die Wirksamkeit der Hormonbehandlung und überschätzt die Wirksamkeit der Psychotherapie. Man muss auch bedenken, dass der Patient, wenn man ihn nicht mit Medikamenten behandelt, manchmal jahrelang eingesperrt wird oder dass man neue Opfer riskiert. Das ist auch sehr gravierend.»

Die antiandrogene Behandlung kann Sexualstraftätern nicht aufgezwungen werden. Samia Hurst, Bioethikerin am Universitätsspital Genf, betont: «Man verliert nicht das Recht, in eine medizinische Intervention einzuwilligen oder sie abzulehnen, weil man inhaftiert ist.»

Die Einwilligung ist auch eine Frage der Wirksamkeit. Damit die Behandlung funktioniert, muss der Patient den Willen haben, seine Triebe zu verringern.

Es sind nicht die Gerichte, die über den Einsatz von Hormontherapien entscheiden. Diese können nur die Notwendigkeit einer Behandlung anordnen, ohne sich über deren Art zu äussern. Welche Therapie zum Einsatz kommt, das wird zwischen Therapeut und Patient entschieden.

Eine Rolle spielen dabei auch Risikoabwägungen. «Unsere Risikoaversion nimmt immer mehr zu», erklärt Samia Hurst vom Unispital Genf. «Wie stark soll die Behandlung das Rückfallrisiko verringern, um eine Lockerung der Massnahme zu rechtfertigen? Was ist das akzeptable Risiko? Das sind sehr schwierige Fragen, aber das akzeptable Risiko kann jedenfalls nicht das Nullrisiko sein. Denn dann müssten wir alle im Gefängnis sein.»

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RTS, La Matinale, 27.11.2025, 7 Uhr;liea

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