Das Ereignis: Im August 2016 bebte in Amatrice die Erde – mit verheerenden Folgen: Das Erdbeben mit der Stärke 6,2 und drei weitere Erschütterungen legte das historische Zentrum der italienischen Stadt in Schutt.
Die Betroffenen im Exil: Seither fanden hunderte Einwohner in Hotels an der Adria-Küste Unterschlupf. Doch der Bevölkerung droht, ihre temporäre Bleibe zu verlieren – denn die Sommersaison steht vor der Türe. Deshalb müssen die Menschen die Hotels demnächst verlassen.
Bei den betroffenen Menschen, die in der Ferienhochburg San Bernadette del Toronto in Hotels ausharren, sorgt dieser Umstand für Unmut – zumal die italienische Regierung in Rom in den vergangenen Monaten grosse Versprechungen gemacht hatte: So würden bis Ostern alle ein Häuschen aus Fertigbauteilen beziehen können.
Das ist ein typischer Fehler der italienischen Politiker: Sie machen Versprechungen, um Beifall zu bekommen. Dann folgen aber keine Taten.
Bis heute wurden lediglich 24 dieser Häuser vergeben – mittels Losentscheid. «Das ist ein typischer Fehler der italienischen Politiker. Sie machen Versprechungen, um Beifall zu bekommen. Dann folgen aber keine Taten», sagt Gian-Batista Agnelli. Die Situation sei seltsam. Die Betroffenen lebten laut Agnelli in der Schwebe. Das mache viele verrückt.
Der Alltag im Hotel? Das Leben im Hotel ist tatsächlich eintönig. Die Männer spielen Karten, die Frauen sitzen gemeinsam im Garten. Ornella, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, ist Ende Fünfzig und kann es kaum erwarten, wieder selbst zu kochen.
Amatrice: Der Weg zur Normalität dauert noch lange
-
Bild 1 von 14. 24. August 2016, 3:36 Uhr: Ein Erdbeben der Stärke 6,2 erschüttert das kleine Städtchen Amatrice. Beinahe jedes Gebäude wird beschädigt oder fällt in sich zusammen. Rund 300 Menschen sterben, die ganze Stadt ist obdachlos. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 2 von 14. Über 4'300 Rettungskräfte sind in Amatrice im Einsatz. Tagelang suchen sie unter den Trümmern nach Überlebenden – immer wieder mit Erfolg. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 3 von 14. Das Stadthaus ist eines der ersten Häuser, das dem Beben am 24. August 2016 zum Opfer fällt. Heute sind erst einige Aufräumarbeiten fertig und die Sanierung ist erst in den Anfängen. Bildquelle: SRF.
-
Bild 4 von 14. Doch die Region kommt nicht zur Ruhe: In den kommenden Wochen erschüttern immer wieder Beben Mittelitalien (im Bild: die Stadt Camerino, die am 26. Oktober 2016 von einem Erdbeben der Stärke 5,9 beschädigt wird). Bildquelle: Keystone.
-
Bild 5 von 14. Am 30. Oktober bebt die Erde in der Nähe von Norcia. Es ist das stärkste Erdbeben in Italien seit 36 Jahren mit der Stärke 6,6. Betroffen ist auch dieses Mal Amatrice: Der Glockenturm, der im August noch unbeschädigt blieb, stürzt nach dem erneuten Beben teilweise ein. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 6 von 14. Das Gebiet zwischen Latium, Umbrien und Marken ist wegen seiner geologischen Lage besonders gefährdet. Zwischen dem 24. August und dem 30. Oktober 2016 kommt es immer wieder zu kleineren und grösseren Erdbeben in der Region. Bildquelle: SRF.
-
Bild 7 von 14. Für die Bevölkerung werden Notunterkünfte errichtet. Der Zivilschutz baut ganze Zeltstädte auf, damit die Bewohner ein Dach über dem Kopf haben. Später werden die Leute in Wohnwagencamps umgesiedelt. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 8 von 14. Aber auch die Wohnwagensiedlungen sollen nur eine Zwischenlösung sein. In den Nächten Ende August ist es bereits empfindlich kalt und die Winter sind in der bergigen Region hart. Bildquelle: SRF.
-
Bild 9 von 14. Die Menschen hoffen, eines der neuen Zuhause, die derzeit gebaut werden, bald beziehen zu können. Das Warten könnte aber noch lange dauern. Bildquelle: SRF.
-
Bild 10 von 14. Erst 25 Häuschen sind fertig. Immerhin konnten die ersten Amatricer in ihr neues Zuhause einziehen. Wer zum Zug kommt, entscheidet das Losglück. Bildquelle: SRF.
-
Bild 11 von 14. Denn der Aufbau kommt nur schleppend voran. 200 dieser Häuser will der Zivilschutz bis Ostern in Amatrice und in der Nachbargemeinde Acumoli errichten. Wegen der zahlreichen Nachbeben in der Region und dem vielen Schnee durch den Winter sind die Helfer in Verzug. Bildquelle: SRF.
-
Bild 12 von 14. Insgesamt sind 85 Prozent der Häuser in und um Amatrice nicht mehr bewohnbar. Auch die Bauern leiden unter der Situation: Zerstörte Höfe machen die Bewirtschaftung beinahe unmöglich. Bildquelle: SRF.
-
Bild 13 von 14. Der Zivilschutz errichtet Stallprovisorien, in denen die Tiere Unterschlupf finden. Bildquelle: SRF.
-
Bild 14 von 14. Die Bauern von Amatrice leben vor allem von der Viehwirtschaft. Dank der provisorischen Ställe können sie ihre Tiere durch den Winter bringen. Bildquelle: SRF.
Das Essen im Hotel sei zwar sehr gut, aber sie brauche eine Beschäftigung. Früher habe sie denn auch immer für Kinder und Enkelkinder mitgekocht. «Was machen wir hier den ganzen Tag? Wir räumen das Zimmer auf, dann machen wir einen Spaziergang, trinken was, sitzen im Pinienwäldchen und kaufen etwas ein». Sie passe derzeit auf ihre Enkelkinder auf. Ihr Sohn fahre oft nach Amatrice zurück, um dort zu arbeiten – wenn es denn Arbeit gebe.
Was geschieht während der Sommersaison? Ornellas frühere Nachbarin Anna Dadamo nickt zustimmend. Sie beobachtet mit Sorge wie sich der beliebte Badeort von Tag zu Tag mit Feriengästen füllt – und diese würden deutlich mehr für ein Zimmer bezahlen.
Die Regierung kommt derzeit für die Hotel-Kosten der gestrandeten Bürger von Amatrice auf. Der Staat bezahlt den Hoteliers 36 Euro pro Person für die Übernachtung und Vollpension.
Wohin gehen wir, wenn die Häuschen nicht rechtzeitig fertig werden? Das Erdbeben hat uns alles genommen.
Wie verhalten sich die Hoteliers? In der Tat verlieren die Hoteliers langsam die Geduld. Viele haben bereits Reservationen für die Sommermonate angenommen – dazu gehört auch Hotelier Nicola Monzoni. Ab dem 10. Juni sei sein Haus belegt. «Ich habe Gäste, die im Mai kommen wollten. Ich habe sie aber darum gebeten, bis Juni zu warten. Das ist bereits ein verspäteter Start in die Saison». Für ihn sei das aber eine Herzensangelegenheit gewesen. «Als Kind bin ich oft mit meinen Grosseltern in Amatrice gewesen», sagt Monzoni.
Archiv Amatrice
Wie geht der Wiederaufbau voran? Auf den Baustellen des zerstörten Stadtkerns von Amatrice wird derweil gearbeitet. Die Fertighäuser sehen alle gleich aus: Dünne Wände in Orange. Braune Türen. Eine kleine Veranda.
In Gruppen von 15, 24 oder 36 stehen diese in der Nähe der einstigen Siedlungen. Gemeindepräsident Sergio Perozzi bestand auf dieser Strategie. «Hätten wir alle Bewohner der verschiedenen Ortsteile auf zwei grosse Flächen untergebracht, wären sie entwurzelt worden und hätten ihre Identität verloren. Jetzt können alle den Wiederaufbau mitverfolgen und überwachen.»
Hätten wir eine Notverordnung durchgesetzt, wären wir jetzt drei Mal weiter mit den Aufräumarbeiten.
Von Wiederaufbau ist jedoch nicht viel zu sehen. Die italienische Bürokratie sei Schuld daran, sagt Perozzi. «Hätten wir eine Notverordnung durchgesetzt, wären wir jetzt dreimal weiter mit den Aufräumarbeiten».