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International «Der Vorwurf des Landesverrats war völliger Unsinn»

Der deutsche Generalbundesanwalt Harald Range muss gehen, weil er gegen zwei Blogger wegen Landesverrats ermitteln liess. Den tatsächlichen Skandal in der Affäre ortet Heribert Prantl von der «Süddeutschen Zeitung» jedoch beim deutschen Verfassungsschutz.

SRF News: Ist Generalbundesanwalt Range bloss ein Bauernopfer?

Heribert Prantl

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Der deutsche Jurist, Journalist und Autor leitet seit 1995 das Ressort Innenpolitik bei der «Süddeutschen Zeitung» in München. Seit 2011 ist er Mitglied der Chefredaktion des Blattes.

Heribert Prantl: Nein. Ein Bauernopfer ist beim Schachspiel die freiwillige Preisgabe eines Bauern, um einen anderen Vorteil zu erlangen. Range hat sich sozusagen selber ans Messer geliefert, indem er am Dienstag vor der Presse eine Erklärung abgegeben hat, die als Kriegserklärung gegen Justizminister Heiko Maas verstanden werden musste. Das konnte sich der Justizminister so nicht gefallen lassen. Im Prinzip hat Range seine Abberufung provoziert; er wollte es so.

Ist denn nichts dran am Vorwurf Ranges, die Politik mische sich in ungebührlichem Masse in die Justiz ein?

Tatsächlich hat der Generalbundesanwalt zum Ende seiner Amtszeit hin versucht, sich als Justizrebell – als General, der gegen die Einflussnahme der Politik ficht und für die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft eintritt – zu inszenieren. Aber das war wohl die falsche Gelegenheit. In seiner Amtszeit hätte es früher bessere Möglichkeiten dafür gegeben als dieses absurde und windige Ermittlungsverfahren gegen netzpolitik.org. Bei diesem Verfahren ist Range dem Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maassen und dessen ziemlich polizeistaatlichen Verfassungs- und Grundrechtsverständnis auf den Leim gegangen. Die Ermittlungen waren unsäglich und hätten nicht geführt werden dürfen. Es gab keinen Anfangsverdacht, der Vorwurf des Landesverrats war völliger Unsinn. Da musste ein Justizminister, der auch auf die Grundrechte zu achten hat, etwas dazu erklären. Unabhängigkeit der Justiz gut und recht: Aber man muss sich auch Kritik gefallen lassen.

Der Verfassungsschutz ist ein wenig erfolgreicher Laden.

Der Justizminister hat ja bereits seit Ende Mai von den Ermittlungen gegen netzpolitik.org gewusst, Kritik daran übte er aber erst diese Woche, als der Druck der Öffentlichkeit schlicht zu gross wurde. Das wirft auf ihn ja auch nicht gerade ein gutes Licht.

Nein. In dem Licht, das hier geworfen wird, gibt es viele Schatten und die fallen nicht nur auf Justizminister Maas, sondern auch auf Innenminister Thomas de Maizière. Er ist ist für den Verfassungsschutz zuständig und musste von der seltsamen Anzeige wissen, mit welcher der Verfassungsschutzpräsident das Durcheinander in seinem Laden kaschieren wollte. Die Anzeige hätte zurückgenommen werden müssen, insofern ist dies also ein Fehler des Innenministers. Auch der Justizminister wusste frühzeitig davon und hätte von seiner Weisungsbefugnis Gebrauch machen können. Ausserdem ist da Verfassungsschutzpräsident Maassen, der so tut, als wäre die Störung der Betriebsabläufe in seinem etwas chaotischen Laden ein Angriff auf den Staat. Es wurden also zahlreiche Fehler gemacht und ich finde, die Abberufung des Generalbundesanwalts sollte nicht die einzige Konsequenz bleiben.

Dann sind der Präsident des Verfassungsschutzes und der Justizminister nach der Abberufung Ranges jetzt nicht fein raus?

Das Ganze ist eine Chronik der laufenden Unfähigkeiten. Die Affäre wurde ja durch den Verfassungsschutzpräsidenten ausgelöst, der das Bekanntwerden von vertraulichen Papieren als Staatsaffäre behandeln wollte. Wenn solche Dinge als Landesverrat gelten sollten, würde sich ein sehr seltsames Verständnis von Grundrechten und vor allem von Pressefreiheit offenbaren. In dem Fall wäre die Bundesrepublik um 50 Jahre zurückgeworfen. Damals wurde «Der Spiegel» wegen angeblichen Landesverrats verfolgt. Darüber ist die Bundesrepublik weit hinaus und darauf wollte der Justizminister – auf zugegeben etwas tölpelhafte Weise – hinweisen. Wenn man nun also fragt, ob weitere personelle Konsequenzen nötig sind, muss man vor allem über Verfassungsschutzpräsident Maassen nachdenken.

In einem Kommentar schreiben Sie, das eigentliche Problem der Affäre sei der Verfassungsschutz. Können Sie dies etwas ausführen?

Audio
«Journalisten sollten von der Veröffentlichung delikater Vorgänge dubioser Art abgehalten werden»
aus SRF 4 News aktuell vom 05.08.2015.
abspielen. Laufzeit 8 Minuten 52 Sekunden.

Der Verfassungsschutz in Deutschland ist – um es vorsichtig zu sagen – ein wenig erfolgreicher Laden. Er hat die Mordserie der rechtsextremistischen NSU nicht aufklären können, hat sich im gigantischen Abhörskandal um die amerikanische NSA inszeniert und dann versucht, aus den Fehlern mit teilweise merkwürdigem Gebaren die Konsequenzen zu ziehen. So versucht er nun ähnliche Spionageprogramme aufzuziehen, wie sie der NSA vorgeworfen werden. Aus diesen Papieren hat netzpolitik.org zitiert, um eine Diskussion über den Verfassungsschutz und seine Pläne auszulösen – was ich demokratisch für unglaublich wichtig halte. Verfassungsschutzpräsident Maassen zeigte sich darüber empört und versuchte, mit Strafanzeigen die Löcher zu stopfen und weitere Veröffentlichungen zu verhindern. Wohl vor allem, um weitere Whistleblower abzuschrecken. Es war der Versuch, Journalisten von der Veröffentlichung interner und delikater Vorgänge dubioser Art abzuhalten. Doch die Gesetzesnorm des Landesverrats und die heftige Strafandrohung sind nicht dafür da, um interne Unzulänglichkeiten im Verfassungsschutzamt auszugleichen.

Was muss sich beim deutschen Verfassungsschutz denn nun ändern?

Es braucht eine völlig neue Weise des Denkens. Man muss den Staat nicht als Selbstzweck sehen. Der Staat ist für die Menschen und ihre Grundrechte da. Die hat der Verfassungsschutz zu beschützen. Er braucht ein neues Verständnis der Grundrechte und ihrer Bedeutung für die Bürger.

Das Interview führte Susanne Schmugge.

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