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International «Die Schlepper kommen kaum nach, ihre Netzwerke intakt zu halten»

Seit 14 Jahren ist Gerald Tatzgern der Leiter der Schlepperbekämpfung im österreichischen Bundeskriminalamt in Wien. Er gilt europaweit als einer der Experten für dieses Thema. Dass sich auf Seiten der Türkei etwas verändert hat, kann er nicht feststellen.

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Arbeiten türkische Behörden mit Schleppern zusammen?
aus Echo der Zeit vom 18.01.2016. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 7 Minuten 24 Sekunden.

Wenn Sie aus Griechenland hören, die Türkei würde sich nicht an Abmachungen halten und mit den Schleppern zusammenarbeiten. Was sagen Sie dazu?

Wir beobachten die Gespräche sehr genau und wir können feststellen, dass die türkischen Polizeiangestellten und der Grenzdienst nicht mehr Personen aufgreifen und auch nicht mehr Schlepper verhaftet als vor den Abmachungen. Also wir sehen derzeit keine Veränderung aufgrund verstärkter Massnahmen gegen die Schleppernetzwerke in der Türkei.

Das heisst, man schaut in der Türkei einfach weg?

Wir merken es auch an den Preisen, wie beispielsweise bei den Schwimmwesten und den Schlauchbooten. Aktuell muss man für ein sehr billiges Schlauchboot, das im Supermarkt vielleicht nur 150 Euro kostet, 1800 Euro bezahlen, für Schwimmwesten bis zu 200 Euro pro Stück. Diese Preise sind nach wie vor sehr hoch in der Türkei und wir merken keinerlei polizeiliche Ermittlungsmassnahmen, die denen das Handwerk legen würden, die auf Kosten dieser Menschen sehr viel Geld verdienen.

Gerald Tatzgern

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Der Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität und des Menschenhandels arbeitet im österreichischen Bundeskriminalamt in Wien. Er ist ausserdem Verfasser von mehreren Büchern über Kinderhandel.

Sprechen wir über die Flüchtlingsdramen. Die Reaktion der Politik war immer dieselbe, nun müsse den Schleppern das Handwerk gelegt werden, aber gelungen ist das offenbar nicht.

Schleppern das Handwerk zu legen wird zu wenig sein. Wir müssen einerseits die Lebensgrundlage, die Hoffnung der Menschen, wieder verbessern. Es sind hunderttausende, wenn nicht gar Millionen Menschen ohne Hoffnung, und das spielt den Schleppern in die Hände. Es zwingt die Flüchtenden, die Schlepper in Anspruch zu nehmen, und auch im Vorhinein die ganze Summe zu bezahlen. Das war vor dem Sommer nicht üblich. Die Menschen gehen eine grosse Gefahr ein, sie bezahlen diese tausenden Euro im Voraus und dann hat der Schlepper natürlich weniger Sorgen, weil, wenn etwas passieren sollte. Das grosse Geld hat er bereits kassiert.

Trotzdem, die eindringlichen Appelle der Politik, der Medien, habe nicht wirklich etwas anders der Situation geändert.

Die Situation kann man nur als sehr dramatisch beschreiben, weil eben der Migrationsdruck sehr gross ist. Die Schlepper kommen kaum nach, die entsprechende Ausrüstung zu verkaufen, die Autos zur Verfügung zu stellen, die Schleppernetzwerke intakt um am Leben erhalten. Sie finden fast keine Leute mehr, die für sie arbeiten, weil es so viele sind.

Was hat sich denn konkret in den letzten Monaten und Wochen verändert. Sind die Preise gesunken?

Die Preise sind rauf und runter gegangen. Der Ansturm ist im Sommer so gross geworden, dass sogar Leute sich als Schlepper betätigt haben, die üblicherweise nichts damit zu tun haben. Deswegen kam es zu sehr gefährlichen Situationen und mitunter auch zu dieser Katastrophe mit 71 Menschen, die in einem Lastwagen erstickt sind. Diese neuen Schlepper haben überhaupt keine Ahnung und keine Sorge, was diesen Menschen passieren könnte. Und dadurch ist der Preis ins Bodenlose gefallen, aber gleichzeitig wieder auf der Strasse, für die unterste Ebene der Schlepper, ist er in die Höhe gestiegen. Früher kostete zum Beispiel ein Autotransport mit ein paar Personen von Ungarn Richtung Österreich nach Deutschland pro Fahrzeug 500 Euro. Im Sommer hat es sich ergeben, dass pro Person 500 Euro in etwa verlangt worden sind. Wenn man die Türkei einbezieht, ist dieser Preis fast ähnlich hoch geblieben, wir rechnen auf der ganzen Reise mit zwischen 8000 und 12'000 Euro pro Person. Auch wenn so grosse Wanderbewegungen, Richtung Kroatien, Slowenien, Österreich und Deutschland unterwegs sind, der Preis im Gesamten hat sich dadurch nicht verändert.

Und das wird sich auch nicht ändern?

Nein, es wird sich eher in den Personenkreisen unterscheiden. Jene, die wirklich aus Kriegsgebieten kommen und flüchten, werden als Flüchtlinge von den Behörden auch als solche behandelt werden und andere, die eher als Wirtschaftsflüchtlinge einzustufen sind, werden höhere Preise bezahlen müssen. Die wollen ja dann auch in die Zielländer und die Gefahr ist sehr gross, dass sie irgendwo im Rahmen einer Grenzkontrolle abgewiesen werden.

Sie sind seit 14 Jahren Leiter der Schlepperbekämpfung im Bundeskriminalamt in Wien. Ist das nicht frustrierend?

Ganz im Gegenteil. Man darf ja nicht aufhören, gegen diese Menschen vorzugehen. Sie verdienen dreist ganz viel Geld. Manche mögen vielleicht denken, sie machen etwas Gutes, wenn sie den Leuten helfen von A nach B zu kommen. Wenn man allerdings die Bilder vom Sommer im Gedächtnis hat, als bei 35 Grad 40, 50 oder gar 60 Personen in kleine Lastwagen gepfercht werden, Frauen vergewaltigt oder Kinder von ihren Eltern getrennt werden, dann gibt uns das Kraft und Energie, die Fälle aufzuklären. Die Verantwortlichen gehören hinter Gitter.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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