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Gedämpfte Erwartungen Schweiz übernimmt OSZE-Vorsitz in stürmischen Zeiten

Die Schweiz wird 2026 im aussenpolitischen Schaufenster stehen. Was kann sie in diesen unsicheren Zeiten bewegen?

Eigentlich ist es eine grosse Ehre. Die Schweiz ist das erste Land, das bereits zum dritten Mal den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernimmt. Dass sie angefragt wurde, hängt für Mitte-Ständerat Daniel Fässler damit zusammen, dass sie für all die zerstrittenen Staaten am ehesten in dieser Rolle annehmbar ist – selbst für Russland.

Mann im Anzug und mit Brille sitzt an Pult und spricht.
Legende: Daniel Fässler leitet die Schweizer Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Das Bild entstand in der Sommersession der Eidgenössischen Räte. KEYSTONE/Anthony Anex

«Russland kritisiert die Schweiz zwar wegen der Übernahme der EU-Sanktionen. Es akzeptiert sie aber als diplomatische Funktionsträgerin», sagt Fässler, der die Schweizer Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE leitet.

Die OSZE ist das einzig verbliebene Gremium, in dem die USA und die westeuropäischen Staaten mit Russland an einem Tisch sitzen.
Autor: Daniel Fässler Ständerat (Mitte/AI)

Die OSZE zu führen, ist anspruchsvoll. Denn die Organisation, die 57 Mitgliedsländer aus ganz Europa, Zentralasien und Nordamerika hat, muss die meisten Entscheidungen einstimmig fällen. Deshalb ist sie häufig blockiert und handlungsunfähig. Das räumt auch Fässler ein.

Die OSZE: Wer sie ist – und was sie macht

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Wiener Hofburg mit OSZE-Fahnen.
Legende: Der Hauptsitz der OSZE befindet sich in Wien, konkret im Palais Pálffy und der Wiener Hofburg. Getty Images/Sopa Images/Omar Marques

Gründung und Ursprung: Die OSZE entstand aus der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die 1973 initiiert wurde. Die Schlussakte von Helsinki wurde 1975 unterzeichnet. Seit dem 1. Januar 1995 trägt sie den Namen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Mitgliedsstaaten: Die OSZE hat 57 Teilnehmerstaaten, darunter alle europäischen Länder (ausser dem Vatikan), die USA, Kanada, die Mongolei und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

Drei Dimensionen der Arbeit:

  • Politisch-militärische Dimension (z. B. Rüstungskontrolle, Konfliktlösung)
  • Wirtschaftlich-ökologische Dimension (z. B. Umwelt, Korruptionsbekämpfung)
  • Menschliche Dimension (z. B. Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit)

Keine rechtlich bindenden Entscheidungen: Entscheidungen innerhalb der OSZE werden im Konsens getroffen – alle Mitgliedsstaaten müssen zustimmen. Die Beschlüsse sind politisch bindend, aber nicht rechtlich verpflichtend.

Konfliktprävention und Mediation: Die OSZE ist aktiv in der Konfliktverhütung und -lösung, z. B. durch Beobachtermissionen und Mediation in Krisenregionen wie der Ukraine, dem Südkaukasus oder Zentralasien.

Jährlicher Vorsitz: Jedes Jahr übernimmt ein anderer Mitgliedsstaat den Vorsitz der OSZE, dessen Aussenministerin oder Aussenminister als «Chairperson-in-Office» fungiert. Im kommenden Jahr amtet Ignazio Cassis als Vorsitzender.

Gleichzeitig hält er den Kritikerinnen und Kritikern entgegen, dass die Bedeutung der OSZE unterschätzt werde. «Es ist das einzig verbliebene Gremium, in dem die USA und die westeuropäischen Staaten mit Russland an einem Tisch sitzen. Wenn auch nur auf Minister- und Botschafterebene.

Deeskalation durch Dialog

Dieser Dialog sei zwar kein Wundermittel, aber er sei eine Basis, wenn man Lösungen für die verschiedenen Konflikte finden wolle. Allerdings ist Fässler skeptisch, ob die OSZE massgeblich zu einem Ende des Krieges in der Ukraine beitragen kann. Aber sie könne sich dafür einsetzen, dass nicht neue Brandherde entstehen – und dass brenzlige Situationen, etwa auf dem Balkan oder in der Kaukasus-Region, nicht weiter eskalierten.

TV-Kamera vor OSZE-Logo
Legende: Nach 1996 und 2014 steht die Schweiz auch nächstes Jahr an der Spitze jener Organisation, die sich Frieden, Sicherheit und Menschenrechte in Europa auf die Fahne geschrieben hat. Keystone/AP/Lisa Leutner

Als Beispiel nennt Fässler die Situation zwischen Aserbeidschan und Armenien. Das militärisch stärkere Aserbeidschan hatte vor mehr als zwei Jahren die Region Berg-Karabach gewaltsam von Armenien zurückerobert – und die meisten ethnischen Armenierinnen und Armenier von dort vertrieben. Aserbeidschanische Politiker drohten mit weiteren Angriffen gegen das Nachbarland.

Die OSZE habe dazu beigetragen, dass der Konflikt nicht noch weiter eskaliert sei, sagt Fässler. «Nun steht ein Gesprächsforum, in dem die Streitthemen besprochen werden können. Die Schweiz hat eine gute Chance, sich hier einzubringen.»

In dieser unruhigen Zeit sendet ein neutrales Land mehr Vertrauen aus als ein Land, das einem Flügel zugeordnet wird.
Autor: Claudia Friedl Nationalrätin (SP/SG)

Das unterstreicht auch SP-Nationalrätin Claudia Friedl, die Vizepräsidentin der Schweizer Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Mit Blick auf die verschiedenen Krisenherde ist sie überzeugt, dass die Schweiz einen Beitrag leisten kann. «Wir haben eine lange Tradition in der Diplomatie und bei den Menschenrechten. Und in dieser unruhigen Zeit sendet ein neutrales Land mehr Vertrauen aus als ein Land, das einem Flügel zugeordnet wird.»

Wenn schon wenig viel ist

Gleichzeitig, sagt die Sozialdemokratin, gebe es für die Schweiz nächstes Jahr noch eine Herausforderung. Die OSZE habe auch als Organisation einen Reformbedarf. Die Strukturen seien teilweise schwerfällig, es gebe Streit um die Finanzierung und zwischen verschiedenen Mitgliedsstaaten herrsche tiefes Misstrauen.

Frau mit Blazer und Rollkragen sitzt auf einer Bank im Parlament.
Legende: SP-Nationalrätin Claudia Friedl ist Vizepräsidentin der Schweizer Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. KEYSTONE/Anthony Anex

Da sei auch das Vorsitz-Land gefordert. Grosse Veränderungen dürfe man aber nicht erwarten, relativiert Friedl. «In diesen schwierigen Konstellationen bedeuten schon kleine Schritte viel.»

Dieses Motto gilt wohl überhaupt für den Schweizer OSZE-Vorsitz 2026: In einer unruhigen und verunsicherten Welt sind schon kleine Fortschritte ein Erfolg.

Echo der Zeit, 8.11.22025, 18 Uhr

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