Soll noch einer sagen, Politik sei nicht aufregend. Diese Rentenreform kam zustande, als hätten die begabtesten Drehbuchschreiberinnen Hand angelegt: hochdramatisch. Über Wochen starrte die ganze Republik auf den Aufstand der jungen Unionsmitglieder, der trotz neuer Wendungen bis zur Abstimmung im Bundestag für maximale Unsicherheit sorgte.
Längst ging es nicht mehr bloss um eine generationengerechte Rente, die die jungen Kritiker einforderten und damit den Kompromiss der Regierung aus CDU/CSU und SPD torpedierten. Es ging darum, ob Kanzler Friedrich Merz’ einst grössten Fans in der Jungen Union ihm die Gefolgschaft verweigern.
Eine Zitterpartie, die Spuren hinterlässt
Nun hat Friedrich Merz die Kanzlermehrheit bekommen, uneingeschränkt freuen kann er sich darüber nicht. «Da bleibt nichts zurück» sagt zwar Fraktionschef Jens Spahn, der selbst unter Erfolgsdruck stand. Doch so manches dürfte kaputt gegangen sein zwischen Fraktion und Parteispitze. Schon öfter folgten nicht alle der Parteileitung. Der Widerstand der «Rebellen» konnte aber grosse Wucht entfalten, weil die Mehrheit der Dreierkoalition nur zwölf Stimmen zählt. Jeder Einzelne der ohnehin selbstbewussten jungen Abgeordneten hat also grosses Gewicht. Dass sie bereit sind, das auszukosten, haben sie nun bewiesen.
Und das hat viel mit Enttäuschung über Friedrich Merz zu tun. Gerade die Jungen glaubten seinen Wahlkampfversprechen, die Republik nach rechts zu rücken. Die Koalition mit der SPD zwingt aber zu Zugeständnissen. Der vielleicht grösste Fehler von Merz war, zu wenig auf die jungen Kritiker zuzugehen. Statt sie einzubinden, ging er auf Konfrontation. Will man nicht ständig solche Zitterpartien riskieren, muss die Parteispitze selbstkritisch über die Bücher.
Zweifelhafte Reformfähigkeit
Auch, weil noch vieles ansteht: Das eben unter Ächzen gutgeheissene Rentenpaket war lediglich ein Reförmchen. Denn es ist breiter Konsens in Politik und Wissenschaft, dass Deutschland eine grosse grundsätzliche Rentenreform braucht. Eine solche hat die schwarz-rote Regierung auch angekündigt.
Jetzt hat es die Regierung Merz mit grosser Kraftanstrengung also erst ins Basislager geschafft. Wie will sie da den Mount Everest erklimmen? Die nächsten Reformen werden den Parteien und ihrer Wählerschaft viel abverlangen. Das schaffen nur Koalitionspartner, die trotz aller Differenzen zusammenspannen. Doch offenbar herrscht eine neue Kultur an der Parteibasis.
Kompromisse und Vertrauen haben einen schweren Stand
Ausgerechnet in Zeiten, wo die Weltlage Regierungen herausfordert, wo die Feinde der Demokratie aus jedem Fehler Kapital schlagen, wo die Handlungsfähigkeit demokratischer Koalitionen unter Druck steht, scheint die Kompromissfähigkeit der Politikerinnen zu erodieren. Misstrauen und Argwohn dem Koalitionspartner gegenüber nehmen zu, oft lässt man die Muskeln spielen, dem andern wird nichts gegönnt. Jeder gegen jeden, statt gemeinsam zum Ziel.
Das Drama um das Rentenpaket fördert die Missgunst zwischen Union und SPD, wo gerade gegenseitiges Vertrauen die Währung der Stunde wäre. Sie wollten «neue Zuversicht stiften» und für Stabilität sorgen, schrieben sich die Parteien in den Koalitionsvertrag. Wenn Regieren aber zu solch dramatischen Zitterpartien wird, darf sich keiner wundern, wenn sich die Stimmung in Deutschland nicht aufhellt.