Auf den ersten Blick sehen sie aus wie winzige Glassplitter. Aber unter der Lupe betrachtet entpuppen sich diese als filigrane Werkzeuge aus Kristall. Sie stammen aus der Steinzeit und sind aktuell im Stockalperschloss in Brig VS ausgestellt.
Kristallklüfte gibt es in Europa seit Millionen von Jahren – das ist hinlänglich bekannt. Doch dass die Menschen dort bereits vor 8000 Jahren Kristalle abgetragen und bearbeitet haben, diese Erkenntnis ist neu.
Hirschgeweih half bei der Recherche
«Erst die Gletscherschmelze hat die Kristallwerkzeuge hervorgebracht», erklärt Archäologe Marcel Cornelissen. Ein bekannter Fundort sei etwa die Stremlücke auf der Kantonsgrenze zwischen Graubünden und Uri oder das Val de Bagnes im Wallis.
In der Stremlücke war es ein Strahler, der die geschliffenen Kristalle gefunden hat. Für ihn sei sofort klar gewesen, dass diese sehr alt sein müssen, sagt Marcel Cornelissen. Denn: In der Kristallkluft lag noch ein Hirschgeweih. Also Material, das sich für gewöhnlich rasch zersetzt, wenn es an der Luft ist. Nur das Eis konnte es so lange konservieren.
Wallis setzt auf Icewatcher-App
Der Strahler gab die Kristalle an die Forschenden rund um Marcel Cornelissen weiter – und diese konnten das Alter des Geweihs bestimmen: Etwa 8000 Jahre alt. Und somit war auch klar, dass die Menschen bereits damals Kristall abgebaut hatten.
Es ist traurig zu wissen, dass wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Kristallwerkzeuge entdeckt wird.
Ist die Gletscherschmelze also ein Glücksfall für Archäologinnen und Archäologen? «Auf der einen Seite, ja. Aber es ist auch traurig zu wissen, dass wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Kristallwerkzeuge entdeckt wird», sagt Marcel Cornelissen. Und doch: Je rascher die Gletscher schmelzen, desto eher kommen Fundstücke zum Vorschein – wenn sie denn überhaupt entdeckt werden.
«Der Kanton Wallis hat dafür die Icewatcher-App entwickelt, mit der Leute Funde melden können», sagt Cornelissen und fügt an: «Wir Archäologen können nicht neben jeden Gletscher stehen und warten, bis das Eis etwas freilegt.» Die Forschenden seien auf die Unterstützung Dritter angewiesen. Denn: «Wenn wir das Erbgut nicht rechtzeitig bergen können, ist es weg.»