Jemandem nachzustellen, oder auf Englisch «stalking», war in der Schweiz bisher nicht konkret verboten. Das ändert sich nun aufs neue Jahr hin mit einem neuen Gesetz. Wer einer Person nachstellt, muss künftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe rechnen.
Für Nina (Name geändert) kommt das neue Gesetz zu spät. Nachdem sie sich von ihrem damaligen Freund getrennt hatte, fing er an, sie zu stalken. Über Monate stellte er ihr nach – zu Hause, in der Öffentlichkeit, mit Feldstecher, per Telefon, online.
«Man kann sich gar nicht vorstellen, was diese dauernde Beobachtung mit einem macht», sagt Nina gegenüber SRF. Am Anfang habe sie sich selber hinterfragt, ob sie überreagiere. Die Situation hat auf ihren Selbstwert geschlagen. Sie fühlte sich alleingelassen. «Viele haben mir gesagt, ‹brich doch einfach den Kontakt ab› – aber so einfach ist das nicht.»
Monatelange Beobachtung
Der Stalker beobachtet Nina in ihrem Zuhause: «Von meinem Wohnzimmer aus habe ich ihn in einem Haus vis-à-vis gesehen – mit einem Fernglas.» Und als sie an einem Morgen nach dem Duschen das Badezimmerfenster öffnet, hört sie: «Schade, dass du fertig bist. Das war ein super Schauspiel.» Am Morgen hört sie die bekannte Stimme durchs Schlafzimmerfenster rufen: «Das war wieder sexy letzte Nacht.»
Ich war in deiner Waschküche, du hast schöne neue Unterwäsche.
Und dann die vielen E-Mails. «Du warst wieder draussen, ich hab's gesehen.» «Ich habe Kameras installiert in deiner Wohnung.» «Ich war in deiner Waschküche, du hast schöne neue Unterwäsche.» Viele Anspielungen seien sexuell gewesen, erzählt Nina.
Betroffene muss Beweise sammeln
Über Monate läuft das so. Nina traut sich nicht mehr aus dem Haus, checkt das Türschloss, zählt ihre Hausschlüssel. Schliesslich sucht sie sich psychologische Hilfe und wird dann an die Opferberatung des Kantons verwiesen. Dort rät man ihr, alle Beweise zu sammeln – und zu einem Wohnortwechsel. «Als Betroffene muss ich extrem viel Aufwand betreiben», sagt Nina.
Mit den gesammelten Beweisen hat Nina Anzeige erstattet wegen Nötigung. Bisher war das neben dem Hausfriedensbruch eine der gängigsten Formen, um Stalking anzuzeigen.
Der Staat setzt damit ein wichtiges Zeichen.
Dass sich das mit dem neuen Gesetz ändert, sei wichtig, sagt Korina Stoltenberg von der Opferberatung Aargau: «Der Staat setzt damit ein wichtiges Zeichen». Dass Menschen andere stalken, ihnen nachstellen, das gebe es schon lange. «Das hat bisher aber oft nicht gereicht für eine Anzeige, weil kein Straftatbestand erfüllt war.» Dass das «Nachstellen» nun ein eigener Straftatbestand sei, sei für Betroffene nicht nur aus juristischer Sicht wichtig: «Es hilft auch emotional, wenn man weiss, dass der Staat hier handelt.»
Mehr Verständnis fürs Thema
Nina hat seit einiger Zeit Ruhe vor ihrem Stalker. Doch die Angst und die Selbstzweifel sind geblieben. «Ich frage mich noch immer, ob ich richtig gehandelt habe.» Der Massstab fehle: «Solange keine Gewalt oder Nötigung im Spiel ist, ist es schwierig einzuordnen, wo Stalking anfängt.»
Als Betroffene begrüsst auch Nina das neue Gesetz und wünscht sich, dass die Situation damit einfacher wird für Stalking-Opfer. Und sie hofft, dass das Thema jetzt mehr Aufmerksamkeit erhält, «dass die Menschen besser verstehen, was Stalking bedeutet, und dass Betroffene wirklich Hilfe brauchen».