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Schweizer OSZE-Vorsitz Wenn schon das Überleben der Organisation ein Erfolg wäre

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine steckt die einst bedeutende Organisation in der Krise. Entsprechend bescheiden sind die Ambitionen der Schweiz für ihr Vorsitzjahr.

Am 1. Januar 2026 übernimmt die Schweiz – bereits zum dritten Mal – den Vorsitz bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Der Grund, so Raphael Nägeli, der Schweizer Botschafter bei der OSZE in Wien: «Die Schweiz als Land, das mit allen Staaten im Gespräch ist, die Schweiz als Land, welches das Völkerrecht achtet, ist geeignet für diese Rolle.»

Die Schweiz kann sich so international nützlich machen. Ihr Vorteil: Niemand hat hohe Erwartungen. Erfolgsdruck gibt es also kaum. Es geht zunächst bloss darum, dass die Organisation überlebt. Und zwar mit dem Ziel, dass man sie nützen kann, falls geopolitisch wieder bessere Zeiten anbrechen.

Aussenminister Ignazio Cassis und Botschafter Raphael Nägeli (hinten, rechts) am OSZE-Sitz in Wien.
Legende: Gesucht hat die Schweiz den OSZE-Vorsitz nicht. Bekommen hat sie ihn trotzdem – es gab schlicht keine Alternative. Bild: Aussenminister Ignazio Cassis und Botschafter Raphael Nägeli (hinten rechts) am OSZE-Sitz in Wien. Keystone/Anthony Anex

Die OSZE verfügt über einen gut gefüllten Instrumentenkasten zur Vertrauensbildung. Raphael Nägeli: «Das können Inspektionen sein, das kann die Beobachtung eines Waffenstillstandes sein, das kann die Verifizierung von Waffenarsenalen sein …» Und es geht um die Verteidigung der Menschenrechte und der Medienfreiheit oder um die Integration von Minderheiten.

Die Weiterexistenz als Minimalkonsens

Die Schweiz soll nun dafür sorgen, dass die OSZE rasch einsatzfähig wäre, falls man sie doch wieder braucht. Sie ist der einzige Ort, wo die USA, Russland, die Ukraine und die Europäer in einem permanenten sicherheitspolitischen Dialog stehen. Wenngleich dieser momentan ein Dialog der Tauben ist, bei dem vornehmlich Gehässigkeiten ausgetauscht werden.

Die Schweiz wird auch künftig klar Position beziehen, wenn Völkerrecht verletzt wird.
Autor: Raphael Nägeli Schweizer Botschafter bei der OSZE

Der Minimalkonsens lautet: Wir wollen die OSZE erhalten. Deswegen hat Russland, obschon es sonst momentan in der OSZE fast alles blockiert, akzeptiert, dass die Schweiz den Vorsitz übernimmt. Moskau erwartet und fordert, dass die Schweiz sich strikt neutral verhält und Russland möglichst nicht kritisiert.

Dem will und kann die Schweiz kaum vollumfänglich gerecht werden, nachdem Russland sämtliche Grundprinzipien der OSZE krass verletzt. Nägeli betont: «Die Schweiz wird auch künftig klar Position beziehen, wenn Völkerrecht verletzt wird, wenn zum Beispiel Schulen oder Spitäler angegriffen werden.»

Trump unterminiert Arbeit der OSZE

Auch die USA treten in der OSZE wenig konstruktiv auf. Sie haben noch immer keinen OSZE-Botschafter ernannt. Die Regierung Trump zeigt wenig Interesse am Multilateralismus und foutiert sich um Abkommen und Regeln. Gleichzeitig macht Washington Druck, dass die OSZE noch weiter sparen muss und so noch weniger tun kann.

Die Trump-Regierung möchte gar, dass die OSZE ihre Wahl­beobachtungs­ergebnisse einstampft, welche die Wahl 2020 von Joe Biden zweifelsfrei bestätigen. Doch so verlöre die Organisation jede Glaubwürdigkeit.

Miese Stimmung, wenig Spielraum

Die Frage ist jetzt: Lassen die USA bei den Zwischenwahlen 2026 wie bisher OSZE-Wahlbeobachter zu? Botschafter Nägeli: «Das war bisher in den USA stets der Fall. Ich hoffe, es wird auch nächstes Jahr so sein. Doch die Entscheidung steht noch aus.» Eine Weigerung der US-Regierung wäre ein dramatisches negatives Signal.

Der Rückhalt für die OSZE ist gerade bei den Hauptakteuren Russland und USA begrenzt. Die Stimmung ist mies, der Handlungsspielraum eng. Für den Schweizer Vorsitz bedeutet das, sarkastisch ausgedrückt: Wir haben zwar keine Chance. Aber wir nützen sie.

Echo der Zeit, 8.12.2025, 18 Uhr; sten

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