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Eritreer – was wollen und was fürchten sie?
Aus Club vom 04.08.2015.
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Schweiz Sorgenkinder aus Eritrea: die Flüchtlinge aus zwei Blickwinkeln

Die Migranten, die ihr Glück in der Schweiz suchen, sind überwiegend Eritreer. Doch wer sind sie? Was wollen und was fürchten sie? Der «Club» hat mit zwei Menschen gesprochen, die hierin Bescheid wissen müssen – sind sie doch selbst einst aus dem afrikanischen Land nach Zentraleuropa geflohen.

Almaz Zerai

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Almaz Zerai ist Fachärztin für Hämatologie und leitende Ärztin im Kantonspital Baselland. Sie ist als eritreische Aktivistin bei «Member of Network of Eritrean Women» engagiert. Im Alter von 19 Jahren ist sie nach Deutschland geflohen und nimmt seither eine regimekritische Haltung ein.

«Club»: Immer wieder hört man, die eritreischen Flüchtlinge seien keine «richtigen Flüchtlinge», sondern nur Wirtschaftsflüchtlinge. Was sagen Sie hierzu?

Almaz Zerai: Die politische Situation ist repressiv und einschüchternd, es gibt keinerlei Rechtsstaatlichkeit, alle Frauen und Männer sind gezwungen, sich in den unbegrenzten Militärservice zu begeben, eine individuelle Lebensgestaltung ist ausgeschlossen. Die massiven Menschenrechtsverletzungen, die mittlerweile von der UNO (Comission of Inquiry Eritrea) bezeugt sind, beweisen in aller Deutlichkeit, dass es sich bei Eritreern zweifellos um politische Flüchtlinge handelt. Die Flucht aus Eritrea betrifft jede Bevölkerungsschicht.

Yohannes Berhane: Es gibt Leute, die kommen, weil sie nicht ins Militär wollen. Dabei muss man bedenken, dass in Eritrea zwar kein Krieg stattfindet, aber auch nicht Frieden herrscht. Die Beziehung von Eritrea zu Äthiopien ist noch immer kritisch. Wirtschaftsflüchtlinge sind es teilweise. So oder so wissen viele Eritreer, dass in der Schweiz politische Flüchtlinge anerkannt sind. Deshalb kommen sie hierher.

Viele Eritreer fliehen also vor dem obligatorischen Militärdienst. Man hört immer wieder von unhaltbaren Lebensumständen dieser Militärangehörigen. Was wissen Sie über diesen Militärdienst?

Almaz Zerai: Der obligatorische Militärdienst in Eritrea betrüge eigentlich 18 Monate. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit kann dieser Dienst auf unbegrenzte Zeit verlängert werden. Diese Leute fliehen nicht vor diesem offiziellen Dienst, sondern vor der Unbegrenztheit dieses Dienstes.

Yohannes Berhane: Mein Bruder leistet seit 16 Jahren Dienst in der eritreischen Armee. Er sagt, es sei schwer, eine Familie zu ernähren mit so wenig Geld. Aber andererseits müssen wir auch das Land beschützen. Wer macht es sonst?

Was braucht es speziell für eine gute Integration von Eritreern?

Yohannes Berhane

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Yohannes Berhane ist Integrationsberater mit Schweizer Niederlassungsbewilligung. Er arbeitet als Übersetzer und ist der Sprachen Amharisch, Tigrinya, Italienisch und Deutsch mächtig. Yohannes Berhane ist 1964 in Eritrea geboren und lebt seit 1990 in der Schweiz. Er versteht sich als regimetreuer Flüchtling.

Almaz Zerai: Integration ist ein beidseitiger Kommunikationsprozess. Dazu gehört es, sich über die schulischen und anderweitigen Hintergründe der Flüchtlinge zu informieren. Zudem hilft auch ein Bewusstsein über mögliche Traumata der Migranten, es handelt sich um politisch Verfolgte. Die Schweiz soll den Flüchtlingen eine Chance bieten, diese können und sollen sie aber auch nutzen. Dazu gehört das Erlernen der Sprache und tausend Dinge mehr. Die Integration fiele wesentlich einfacher, wenn alteingesessene eritreische Kommunen in den Integrationsprozess involviert würden.

Yohannes Berhane: Informationen, Beratung, Begleitung in der Schule, Gesundheit und eine soziale Integration. Wichtig ist es für die Eritreer, die Sprache des jeweiligen Landes zu lernen. Wichtig sind Ausbildungsmöglichkeiten, in deren Rahmen die Flüchtlinge eigene Ressourcen haben. Etwa Ausbildungen zum Schreiner, Maurer, Automechaniker, Maler und so weiter. Beispielsweise bei den Vereinen «giveahand.ch», «zukunft.ch» oder «elternbildung.ch» gibt es entsprechende Integrationshilfen. In diesen habe ich bereits mitgearbeitet.

Neun von zehn Eritreern leben in der Schweiz von der Sozialhilfe. Wie erklären Sie sich das?

Almaz Zerai: Kein Mensch will nur gefüttert werden. Die Eritreer haben eigentlich eine hohe Arbeitsmoral. Es stellt sich die Frage, ob die Schweiz überhaupt genug Arbeitsplätze bieten könnte, gerade für Eritreer, die in ihrer Heimat keine Chancen auf eine gute Ausbildung hatten. Es wird sehr wenig investiert, um diese Menschen aus ihrer Abhängigkeit vom Sozialamt zu holen.

Yohannes Berhane: Die Zahl ist richtig. Alle Eritreer wollen arbeiten, aber viele haben keine Chance, weil sie zu schlecht Deutsch reden.

Sehen Sie eine Möglichkeit, wie man die Eritreer in ihrem eigenen Land unterstützen kann, damit die Zahl der Flüchtlinge in Zukunft abnimmt?

Almaz Zerai: Eine Zusammenarbeit mit diesem Regime, wie es in der Vergangenheit schon mehrfach versucht wurde, würde nicht zu einer Beseitigung der Menschenrechtsverletzungen führen. Das ist der Hauptgrund, warum die Leute Eritrea verlassen. Es sollte noch mehr internationaler Druck auf das Regime ausgeübt werden, sich endlich an die Einhaltung der Menschenrechtskonventionen zu halten.

Yohannes Berhane: Es braucht erst eine Lösung für die Problematik der Grenze zwischen Eritrea und Äthiopien. Äthiopiens Regierung muss die bestehenden Abmachungen einhalten und umsetzen. Wenn es dazu kommt, kann man über die Rückkehr nach Eritrea nachdenken.

Das Gespräch führte Manuel Gamma

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