Die UNO feiert diesen Oktober den 80. Geburtstag. Gleichzeitig steht sie in der Kritik und steckt in grossen Finanznöten. Könnte die UNO in Genf sparen? Diese Idee ist für Alt-Bundesrat Joseph Deiss eine Warnung. Er hat 2011 die UNO-Generalversammlung geleitet.
SRF: Joseph Deiss, Sie sind aus New York von der Generalversammlung der UNO zurück – mit welchem Gefühl?
Joseph Deiss: Wenn ich in die grosse Halle trete, in der die ganze Völkergemeinschaft versammelt ist, bekomme ich immer Gänsehaut. Die Idee dieser Halle stammt vom Schweizer Le Corbusier. Zudem ist es eine Leistung, alle diese Menschen zu versammeln, um über die Probleme der Menschheit zu diskutieren.
Die UNO ist das einzige Organ, das weltweite Regeln im Bereich der künstlichen Intelligenz aufstellen könnte.
Sie treffen regelmässig andere ehemalige Präsidentinnen und Präsidenten der UNO-Generalversammlung, welche Themen behandeln sie?
Rund zwölf ehemalige Präsidenten erscheinen zu diesen jährlichen Treffen. Wir beraten die UNO und diskutierten dieses Jahr über Reformen. Wir möchten aber nicht die Charta verändern, denn dieser fehlt heute nichts. Wir wollen, dass sie eingehalten wird. Zudem engagieren wir uns im Bereich der künstlichen Intelligenz. Die UNO ist das einzige Organ, das weltweite Regeln aufstellen könnte.
Die UNO wurde in der Rede von US-Präsident Donald Trump scharf kritisiert, ist diese Rede einmalig?
Mit dieser Rede hat es Donald Trump sicher in die extravagante Gruppe von Fidel Castro, Ahmadinedschad oder anderen Langrednern geschafft. In seiner Rede hat das Gastgeberland seine Gäste und die Organisation beleidigt und verhöhnt. Ich war völlig deprimiert nach dieser Rede. Aber eine Wende ist es nicht, die UNO musste schon anderes erleben und hat es überstanden.
Es ist eine Krise, aber ich sehe nicht, wer die UNO ersetzen könnte.
Die UNO muss sparen – nur 49 von 193 Mitgliedstaaten haben ihre Beiträge termingerecht bezahlt.
Diese Situation ist nicht neu. Als ich die Generalversammlung präsidierte, gab es bereits säumige Zahler. Bei den Summen wird aber auch ersichtlich, dass die UNO kein teurer Laden ist. Sie sollte finanzierbar sein. Es ist eine Krise, aber ich sehe nicht, wer die UNO ersetzen könnte.
Dennoch: Die USA haben Gelder bei der Entwicklungszusammenarbeit gestrichen – für die UNO-Vize-Generalsekretärin Amina Mohammed sind die Folgen eine Katastrophe.
Die USA haben immer 22 bis 23 Prozent des Budgets getragen, sie waren sehr grosszügig. Viele andere Länder könnten mehr beitragen. Es ist nun nötig, Ersatz zu suchen und zu sparen.
Wenn es uns gelingt, die jetzigen grossen Krisen zu bewältigen, wenn alle ehrlich ihren Verpflichtungen nachkommen, dann wird die UNO eine Zukunft haben.
Könnte die UNO beim teuren Standort Genf sparen?
Dieser Standort bringt für die Schweiz Chancen und Vorteile. Man wäre überall bereit, die UNO aufzunehmen. Viele Länder sagen: Wir möchten auch einmal etwas davon haben. Es ist eine Warnung. Man ist der Schweiz nicht dankbar, sondern ist neidisch auf sie.
Die UNO wird 80, wie sieht sie in 10 Jahren aus?
Wenn es uns gelingt, die jetzigen grossen Krisen zu bewältigen, wenn alle ehrlich ihren Verpflichtungen nachkommen, dann wird die UNO eine Zukunft haben. Sonst wird es zu einer Situation kommen, die sehr zerstritten ist, mit Kriegen wie in Gaza, im Sudan oder der Ukraine.
Das Gespräch führte Karoline Arn.