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Verträge mit der EU Könnte die Schweiz einen Rückzieher machen?

Die neuen Verträge zwischen der Schweiz und der EU sind so umfangreich, dass kaum alle Auswirkungen im Detail schon jetzt erfasst werden können. Gegnerinnen und Gegner fürchten aber, dass die Schweiz – wenn sie einmal Ja gesagt hat – nie mehr zurückkönnte. Integration als Einbahnstrasse quasi. Stimmt das? Inlandredaktor Matthias Strasser beantwortet die wichtigsten rechtlichen und politischen Fragen.

Matthias Strasser

Inlandredaktor

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Matthias Strasser ist Inlandredaktor und seit 2019 für Radio SRF tätig. Davor hat der Historiker als Bundeshauskorrespondent für private Radiostationen berichtet. Seine Fachgebiete sind Europapolitik, Verkehr und Migration.

Kann die Schweiz einmal abgeschlossene Verträge mit der EU wieder kündigen?

Grundsätzlich ja. Bei den Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union handelt es sich um völkerrechtliche Verträge. Sie können, wenn eine Partei das will, grundsätzlich auch wieder aufgekündigt werden. Die SVP verlangt das beispielsweise beim Abkommen zur Personenfreizügigkeit.

Wäre eine Kündigung auch bei den neuen Abkommen, die jetzt vorliegen, möglich?

Relativ problemlos kündigen könnte die Schweiz die neuen Verträge, etwa den zum Strom. Schwieriger wird es bei den schon bestehenden Marktzugangsabkommen. Diese kriegen eine Art Update, unter anderem mit den umstrittenen Regeln zur dynamischen Rechtsübernahme und zur Streitbeilegung. Diese neuen Elemente könnte die Schweiz nur wieder loswerden, wenn sie die Abkommen als Ganzes kündigt. Und weil die Bilateralen I miteinander verknüpft sind, würden bei einer Kündigung gleich mehrere Verträge wegfallen.

Die Bilateralen Verträge und ihre jetzt diskutierte Ergänzung

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Die Schweiz und die EU haben zusammen über hundert Abkommen geschlossen. Die wichtigsten sind das Freihandelsabkommen (1972) sowie die Vertragspakete Bilaterale I (1999) und II (2004). Jetzt soll das bilaterale Vertragswerk überarbeitet und erweitert werden.

Zu den Bilateralen I gehören:

  • Personenfreizügigkeit
  • Luftverkehr
  • Landverkehr
  • Landwirtschaft
  • Technische Handelshemmnisse
  • Forschung
  • öffentliches Beschaffungswesen

Die Bilateralen I sind miteinander verknüpft. Wird ein Abkommen gekündigt, fallen alle anderen ebenfalls dahin.

Zu den Bilateralen II gehören u.a.:

  • Schengen/Dublin (Sicherheit/Asyl)
  • Kreatives Europa
  • Statistik
  • Bildung, Berufsbildung, Jugend

Hier sind nur die Abkommen zu Sicherheit und Asyl miteinander verknüpft.

Mit den jetzt vorliegenden neuen Verträgen sollen neue Abkommen dazukommen (Strom, Lebensmittelsicherheit, Gesundheit). Zudem sollen bestehende Marktzugangsabkommen mit institutionellen Elementen ergänzt werden, darunter Streitbeilegung und dynamische Rechtsübernahme. Vorgesehen sind ausserdem weitere Elemente wie die Teilnahme der Schweiz an EU-Programmen oder die Regelung des Schweizer Beitrags zur Kohäsion im Binnenmarkt.

Dann könnte die Schweiz nach einem Ja nicht mehr zur heutigen Regelung zurück?

Nein. Sie müsste den Wegfall der wichtigsten Verträge in Kauf nehmen und ihr Verhältnis zu Europa neu sortieren. Allerdings argumentieren Befürworter der Verträge, der heutige Zustand sei sowieso nicht zu erhalten. Die EU habe deutlich gemacht, dass sie die bestehenden Bilateralen nicht mehr aktualisieren oder ergänzen will, solange die institutionellen Fragen ungelöst sind. Ohne das Update würden die geltenden Verträge deshalb künftig ihren Wert verlieren.

Hätte die Forderung nach einer Neubeurteilung politisch überhaupt Chancen, wenn die Verträge einmal in Kraft sind?

Dass der Schritt zurück möglich ist, zeigt der Austritt Grossbritanniens aus der EU. Aber das Beispiel zeigt auch: Das wäre anspruchsvoll. In der Politikwissenschaft geht man davon aus, dass Integration sich selbst verstärkt. Wirtschaft und Gesellschaft stellen sich mit neuen Verträgen auf neue Möglichkeiten ein. Die Verknüpfungen werden enger und zahlreicher – und damit steigt der politische Preis für eine Auflösung des Vertragswerks.

Neue EU-Verträge: Ist die Integration eine Einbahnstrasse?
Legende: KEYSTONE / PETER SCHNEIDER

Ist es möglich, dass das Volk ein paar Jahre nach Inkrafttreten noch einmal über die neuen EU-Verträge abstimmen kann?

Die FDP wollte mit diesem Vorschlag Unentschlossene umgarnen. Die neuen Verträge hätten ihren Nutzen in der Praxis unter Beweis stellen sollen. Aber der Vorschlag ist bereits wieder vom Tisch. Viele Gegnerinnen wie Befürworter wollen einen definitiven Entscheid. Erstere ziehen eine Nicht-Heirat einer aufwändigen Scheidung vor. Zweitere wollen ein überzeugtes Ja, ohne Probezeit. Damit bleibt, was immer möglich ist: Eine neuerliche Abstimmung über eine Volksinitiative zu verlangen.

Diskutieren Sie mit:

Echo der Zeit, 1.10.2025, 18 Uhr ; 

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