Ältere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen würden von Schweizer Unternehmen nicht diskriminiert. Das hört man landauf, landab. Man «brauche» sie, um dem Fachkräftemangel etwas entgegenzusetzen. Offenbar ist das aber ein Lippenbekenntnis. Denn die Realität sehe anders aus, sagt Pascal Scheiwiller, CEO von Rundstedt, einem grossen Schweizer Personalvermittler. «77 Prozent der befragten HR-Manager beobachten, dass ältere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnern in der eigenen Firma diskriminiert werden.»
Mit anderen Worten: Die HR-Manager würden 55+ gerne gleich behandeln wie jüngere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, können oder dürfen dies aber nicht. «Die HR-Führungskräfte sind zwar die Hauptakteure in der Personalpolitik, beklagen aber, dass die eigene Firma zu wenig flexibel ist, sich zu wenig darum bemüht, die 55+ bis zum Pensionsalter – oder darüber hinaus – im Unternehmen zu halten», sagt der Experte.
So würde eine Mehrheit der HR-Manager die über 55-Jährigen gerne gezielt rekrutieren, fördern und über das reguläre Pensionsalter beschäftigen – nur eine Minderheit schafft dies im eigenen Unternehmen in der Realität aber auch. Scheiwiller sieht eine Hauptursache für das widersprüchliche Verhalten der Arbeitgeber darin, dass sie hartnäckig an das Credo glaubten, 55+ seien nur an Frühpensionierungen interessiert. «Das stimmt aber nicht. Viele Arbeitskräfte wissen, dass eine Beschäftigung im Alter agil und fit hält.»
Dieses falsche Credo – dass alle sowieso nur in Frühpension gehen möchten – führe dazu, dass sich zu viele Firmen im Alltag bei älteren Mitarbeitern auf das Gesundheitsmanagement und allenfalls noch flexible Arbeitszeitmodelle beschränkten. «Aber dass man die 55+ mit einschliesst bei Talentmanagement-Programmen, dass man sie bewusst rekrutiert und auch weiter fördert und Wege aufzeigt, wie man über das ordentliche Pensionierungsalter weiter arbeiten könnte, davon sind die meisten Firmen weit entfernt», kritisiert der von Rundstedt-Arbeitsmarktexperte.
«Es wäre nicht so schwierig»
Dabei würde alles – insbesondere der Fachkräftemangel – dafür sprechen, dass man die Firmen- und Personalkultur auf alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnern ausrichtet, Jung und Alt. Die neue Studie zeigt auf, dass es in vielen Firmen aber grundsätzlich an Wissen, Erfahrung und auch Mut fehlt, wie man mit der Altersproblematik und dem demografischen Wandel umgehen könnte.
Die Firmenspitze muss durchsetzen, dass nicht primär Frühpensionierungen das Ziel der Personalpolitik sind, sondern die Weiterbeschäftigung.
Guter Rat scheint teuer. Pascal Scheiwiller, der sich im Alltag vor allem mit der Reintegration von älteren Jobsuchenden beschäftigt, sagt allerdings: «Es wäre nicht so schwierig. Geschäftsführung und Verwaltungsrat müssten die Inklusion von Jung und Alt vorleben und konsequent einfordern. Die Firmenspitze muss durchsetzen, dass nicht primär Frühpensionierungen das Ziel der Personalpolitik sind, sondern die Weiterbeschäftigung über das Pensionierungsalter hinaus, so lange wie möglich.»
Es müsse ein Sinneswandel in der Gesellschaft stattfinden, dass Arbeit im Alter nicht nur demografisch und volkswirtschaftlich Sinn mache, sondern auch im medizinischen und privaten Interesse des Einzelnen sei.