Schweizer Sommermärchen - Warum es «Frauen-Nati» zum Wort des Jahres geschafft hat
Die Fussball-EM der Frauen in der Schweiz sorgte für viele Emotionen und versetzte das Land ins Fussballfieber – die perfekten Voraussetzungen für das Wort des Jahres 2025, urteilt die Jury. Der Zollstreit mit den USA belegt überraschend nicht den ersten Platz – mit Absicht.
2025 hat die Schweiz ein Sommermärchen erlebt: ausverkaufte Stadien, volle Public-Viewings und friedliche Fanmärsche. Und mittendrin: das Schweizer Fussball-Nationalteam, die «Frauen-Nati».
Dass dieses Wort prägend für das Jahr 2025 war, darin war sich die Jury des «Wort des Jahres» einig. «In den Augen der Jury hat neben den schweren wirtschaftspolitischen Themen der Sport als positives Gegengewicht bewegt und begeistert», erklärt Juryleiterin Marlies Whitehouse.
«Wort des Jahres» – so funktioniert die Wahl
Box aufklappenBox zuklappen
Das «Wort des Jahres» gibt es in der Schweiz seit 2003. Bis 2016 wurde es vom «Büro Wort des Jahres» bestimmt. Seit 2017 ermittelt es die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Sprachforscher der Abteilung Angewandte Linguistik erstellen eine Liste mit 40 bis 50 Wortkandidaten.
Grundlage für diese Liste sind erstens die Analyse eines umfassenden Textkorpus, wodurch auffallend häufig verwendete Wörter erkannt werden, zweitens Einsendungen aus der Bevölkerung, drittens Vorschläge der Jury-Mitglieder. Die zwölfköpfige Jury besteht aus Linguisten der ZHAW, aus Journalisten, Künstlern und Sprachschaffenden. Für jede Landessprache wird eine eigene Jury aus Sprachprofis zusammengerufen.
Ein Schweizer Fussball-Sommermärchen
Die Frauen-Nati spielte sich an der EM in den Viertelfinal und trug den Frauenfussball mitten in die Gesellschaft.
Legende:
Die Schweizer Spielerinnen feiern ihren Sieg und die Qualifikation nach einem Unentschieden gegen Finnland während des UEFA Frauen-EURO 2025.
Keystone/Salvatore di Nolfi
Die Begeisterung machte nicht an den Stadionmauern halt: Schweizer Fussballclubs wurden überrannt von Nachwuchsspielerinnen, die sich die Frauen-Nati zum Vorbild genommen haben.
Deutsch: Frauen-Nati, Zollhammer, Chlorhuhn
Box aufklappenBox zuklappen
Platz 1: Frauen-Nati
Vor dem Fernseher, beim Public-Viewing oder direkt im Stadion: Die Schweiz war diesen Sommer im Rahmen der Europameisterschaft im Fussballfieber. Die Euphorie zeigt sich auch im steilen Zuwachs an Nachwuchsspielerinnen, die wohl den Traum haben, einmal in der Frauen-Nati zu spielen.
Platz 2: Zollhammer
Die 39 Prozent Strafzölle, welche die USA auf Schweizer Exportartikel erhoben, dominierten die Berichterstattung. Die Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft sind trotz weiterer Verhandlungen immens und werfen einen Schatten auf das Jahr 2025.
Platz 3: Chlorhuhn
Ebenfalls im Rahmen des Zollabkommens zog der Bundesrat in Erwägung, den Import von Fleisch aus den USA zu erleichtern. Dort werden Hühner nach der Schlachtung mit Chlor entkeimt. Diese Praktik ist in der Schweiz verboten. Das «Chlorhuhn» zeigt auch sinnbildlich die kulturellen Unterschiede zwischen der Schweiz und den USA.
Selbst nach dem Aus der Frauen-Nati hielt die Begeisterung an und das Penaltyschiessen zwischen den Finalistinnen England und Spanien verfolgten über 1,3 Millionen Zuschauende live im Fernsehen. Die Euphorie steckte selbst Nicht-Fussball-Fans aller Altersklassen und Geschlechter an. Der spezifisch schweizerische Begriff «Frauen-Nati» erinnert an diesen unvergesslichen Fussball-Sommer – und ist genau deshalb eine positive Wahl für das Wort des Jahres 2025.
USA und die Schweiz
An den US-Zöllen gab es dieses Jahr kein Vorbeikommen. Das zeigt sich auch beim Blick über die Sprachgrenzen: Während die deutschsprachige Jury den «Zollhammer» und das «Chlorhuhn» auf Platz zwei und drei setzte, wählte die französischsprachige Jury «39 %» auf Platz zwei. In der italienischsprachigen Schweiz schafft es das Thema sogar auf Platz eins: Dort werden mit «dazi» die Zölle allgemein erfasst.
Französisch: génocide, 39 %, grève
Box aufklappenBox zuklappen
Platz 1: génocide (Genozid)
Bereits im vorherigen Jahr wurde mit «cessez-le-feu» (Waffenstillstand) ein französisches Wort des Jahres gewählt, dass auf den Krieg im Nahen Osten Bezug nimmt. Gerade die Genozid-Debatte – samt Gerichtsverhandlung in Den Haag – sorgte für manche hitzige Diskussion, im Öffentlichen wie im Privaten.
Platz 2: 39 %
Die direkten Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft durch Zölle von 39 Prozent auf Exporte in die USA waren einschneidend und in Europa sondergleichen. Bereits die Zahl «39 %» ruft daher direkt die Assoziationen zur Zoll-Debatte mit den USA hervor.
Platz 3: grève (Streik)
Demonstrationen und Streiks haben 2025 in der Romandie zugenommen, sei es gegen Sparmassnahmen im Öffentlichen Sektor, gegen Femizide oder für das Klima. Die französischsprachige Jury beobachtet, dass Streiks immer koordinierter und medienwirksamer organisiert werden.
Auch die Publikumseinsendungen für das Wort des Jahres bezogen sich zu einem Grossteil auf die Zollverhandlungen mit den USA. Es ist also durchaus überraschend, dass der «Zollhammer» nicht auf Platz eins gelandet ist. Dieses dominante Thema wurde von der Jury allerdings bewusst vom obersten Treppchen ferngehalten. Zum einen sei es nicht ausschliesslich Schweiz-spezifisch, zum anderen wolle man sich nicht von US-Präsident Donald Trump instrumentalisieren lassen, sagt Jury-Mitglied Bänz Friedli.
Auch der Begriff «Chlorhuhn» verweist auf den Zollstreit, nicht zuletzt auf kulturelle Unterschiede zwischen den USA und der Schweiz. Während in der Schweiz die Gesundheit der lebenden Nutztiere im Vordergrund steht, wird Pouletfleisch in den USA bei der Verarbeitung desinfiziert.
Italienisch: dazi, permacrisi, riarmo
Box aufklappenBox zuklappen
Platz 1: dazi (Zölle)
Mit dem allgemeinen Begriff «dazi» verweist das italienische «Wort des Jahres» 2025 auf die gesamte Debatte rund um die US-Zoll-Verhandlungen. Damit ist natürlich besonders die Schweizer Perspektive gemeint, aber nicht ausschliesslich.
Platz 2: permacrisi (Dauerkrise)
Krieg im Nahen Osten, in der Ukraine, im Sudan, Zollstreitigkeiten und Klimakrise – die Liste von Krisen ist lang und der Begriff erfasst dabei direkt eine ganze Bandbreite von aktuellen Debatten. Zugleich verweist er auf ein Gefühl der Überforderung.
Platz 3: riarmo (Aufrüstung)
Die Wahl für «riarmo» steht in direktem Zusammenhang mit dem Platz zwei. Die anhaltenden Konflikte sowie die angespannte weltpolitische Lage treiben weltweit die Aufrüstung an. Auch die Schweiz hat den Zahlungsrahmen für die Armee erhöht.
Grosse Themen – wenig Wörter
Während der Zollstreit gleich mit zwei Wörtern beim «Wort des Jahres» 2025 vertreten ist, bleiben andere Themen aussen vor. Begriffe in Bezug auf den Krieg im Nahen Osten oder den Bergsturz von Blatten wären erwartbar gewesen. Gemäss der Jury fehlte es an griffigen Wörtern, die jene Sachverhalte punktgenau erfassen.
Das Wort des Jahres soll als Zeitkapsel fungieren und einen klaren Schweizbezug aufweisen. Diesbezüglich erfüllen die drei Begriffe «Frauen-Nati», «Zollhammer» und «Chlorhuhn» die Ansprüche der wissenschaftlichen Leitung durch die ZHAW. Dass das Dauer-Thema der Zölle nicht auf Platz eins gelandet ist, ist ein deutliches Signal der Jury. Ein positives Wort sollte zuoberst auf dem Podest stehen.
Rätoromanisch: IA, ballape da dunnas, vita pajabla
Box aufklappenBox zuklappen
Platz 1: IA ('intelligenza artifiziala', Künstliche Intelligenz)
Die Künstliche Intelligenz breitet sich zunehmend in verschiedene Lebensbereiche aus. Sei dies im Beruf oder in der Freizeit. Im Rätoromanischen werden oft die Fremdwörter «KI» und «AI» verwendet. Die Jury ermutigt zum Gebraucht der rätoromanischen Abkürzung «IA».
Platz 2: ballape da dunnas (Frauenfussball)
Die Schweiz hat dieses Jahr als Austragungsort der Fussball-EM der Frauen brilliert und für Rekorde gesorgt – nicht nur was Tore und Zuschauerzahlen angeht, sondern auch bei der Entfachung einer Euphorie bei jungen Mädchen, welche die Fussballclubs vor Herausforderungen stellen.
Platz 3: vita pajabla (erschwingliches Leben)
Der Kauf von Zweitwohnungen treibt im Graubünden die Immobilienpreise in die Höhe. Ein Thema, das schon im Jahr 2024 beschäftigte, als «segundimorant:a» (Zweitheimische:r) zum rätoromanischen «Wort des Jahres» gekürt wurde. Die Wohnraumthematik beschäftigt die einheimische Bevölkerung weiterhin.