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Club «Ein Familiengeheimnis kann auch gefährlich werden»

Jede Familie hat ihre Sorgen, die sie lieber privat halten will. Geht es um schwerwiegendere Probleme, dann bemüht sich eine «Bilderbuch-Familie» häufig noch stärker darum, nichts gegen aussen dringen zu lassen. Eine fatale Entwicklung, sagt der Psychoanalytiker Olaf Knellessen.

Suizid, Geschlechtsumwandlung, verbotene Liebschaften: Warum hüten Familien ihre Geheimnisse häufig so vehement?

Familien haben – nach Zeit, Ort und spezifischen Umständen immer auch variierende – Vorstellungen davon, was es heisst, eine gute Familie zu sein. Je weniger die Situation in einer Familie diesen Vorstellungen entspricht, umso grösser wird die Neigung, das Bild einer «guten» Familie nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern erst recht zu demonstrieren. Möglichst alles, was dem nicht entspricht, muss verborgen werden und geheim bleiben. So werden die Notwendigkeit und der Zwang immer stärker, sich nach aussen abzuschliessen. Diese Geheimnisse können relativ harmlos sein – so wie ein Scheitern in beruflichen und privaten Belangen, Abweichungen in sozialer und auch sexueller Hinsicht, Homosexualität zum Beispiel – sie können natürlich auch so gravierend sein wie es kriminelle Handlungen und schwere Verbrechen sind.

Je grösser also die Notwendigkeit wird, Schuld- und Schamhaftes verbergen zu müssen, umso idealer muss das Bild der Familie nach aussen erscheinen. Die heile Welt pflegt dann vor allem ihr Unheil. Dieser Dynamik wegen ist es ja nicht selten, dass nach Bekanntwerden eines solchen Geheimnisses und Vergehens, die Umgebung immer wieder total überrascht sein kann, weil doch alles ganz anders ausgesehen und es sich doch um eine «so nette» Familie gehandelt hat.

Heile Familie nach aussen hin: Kann eine solche Geheimhaltung auch gerechtfertigt sein?

Natürlich: Geheimisse zu haben, ist doch ein Genuss. Und bei Geheimnissen geht es in der Regel um Genuss. Um einen intensiven Genuss, der so stark, so dominant werden kann, dass er gefährlich werden und uns wegreissen kann. Ein intensiver Genuss löst auch Angst aus und wird durch diese Angst noch intensiver. Gefahr und Angst – wie natürlich auch das Verbot – steigern den Genuss und machen das Geheimnis noch kostbarer.

Das muss nicht schlecht und auch nicht schädlich sein, weil im Schutz solcher Geheimnisse Entwicklungen möglich werden, die man nur so machen konnte. Damit sie dann auch fruchtbar werden können, muss dieser Schutz irgendwann auch wieder aufgegeben werden und so eine Öffnung entstehen.

Allerdings muss man sagen, dass Geheimnisse zu haben und die Präsentation einer heilen Familie nicht das gleiche sind. Man kann sehr wohl Geheimnisse haben, ohne deshalb das Bild einer heilen Familie demonstrieren zu müssen.

Kann eine solche Geheimhaltung auch schädlich sein? Und wenn ja, mit welchen Folgen?

Eine solche Geheimhaltung kann beim Einzelnen wie in der Familie auch gefährlich werden. Es bringt einen Verschluss nach aussen mit sich, was auch heisst, dass der Austausch mit der Welt und all ihrem Anderen stark dezimiert werden kann. Das ist natürlich für die Familie, nicht zuletzt für die Kinder in der Familie, von existenziellem Nachteil, weil so ihre Entwicklung blockiert werden kann. Systeme, auch soziale wie Familie, Gruppen, Länder und Völker, brauchen Öffnungen zum und zu Anderen, sie müssen Löcher und Lücken haben, um sich austauschen und entwickeln zu können.

Und welche Folgen kann ein Eklat haben; also eine Situation, in der das Geheimnis ungeplant auffliegt?

Der Zusammenbruch solcher Geheimisse, die Offenlegung von Schuld und Scham hat Erschütterung zur Folge. Eine Erschütterung, deren Auswirkungen sehr unterschiedlich sein können. Es kann passieren, dass Scham und Schuld so gross sind, dass ein Weiterleben nicht mehr möglich scheint. Das kann zur Flucht aus der bisherigen Umgebung, auch aus dem Leben führen. Auf jeden Fall aber wird es einen Bruch geben, durch den die Dinge anders werden, was schmerzlich, furchtbar und zerstörerisch ist, aber auch neue Kräfte freisetzen kann. Familien können sich dann neu formen oder auflösen. Die Dinge und das Leben werden anders.

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